Die Judas-Papiere
geplatzter Abschluss ist zwar immer bitter, gehört aber doch zu jedem Gewerbe und kann deshalb wohl kaum als Katastrophe bezeichnet werden. Sie sagten doch, dass Ihre Kanzlei viele zahlungskräftige Kunden im Ausland betreut.«
»Das stimmt, doch in diesem Fall wäre es ein entsetzlicher Fehl schlag mit nicht absehbaren Folgen«, widersprach Matthew Golding. »Denn von meinem Vorgehen auf Burg Negoi hängt mehr ab, als Sie sich vorstellen können.« Er begann wieder einmal, zu husten und mit weggedrehtem Kopf in sein Taschentuch zu spucken. Diesmal war es ein neues aus weinrotem Stoff. »Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich habe einen nervösen Magen und muss zudem noch einiges vorbereiten, um hier alles zu einem guten Ende zu bringen.«
»Ein seltsamer Kauz«, sagte Alistair, als sie wieder unter sich wa ren. »Außerdem scheint er mir zu lügen. Zumindest was seinen Na men betrifft.«
Verblüfft sahen ihn die anderen an. Sogar Harriet blickte auf. »Wie kommst du bloß auf diese absurde Idee? Welchen Grund sollte er denn haben, uns und Graf Dracula einen falschen Namen zu nennen? Der Graf stand doch mit ihm und seiner Anwaltskanzlei seit Länge rem in Briefkontakt.«
»Und wennschon. Es gibt bestimmt mehr als nur einen genialen Fälscher auf der Welt«, erwiderte Alistair mit einem Seitenblick zu Horatio. »Und welchen Grund er hat, weiß ich natürlich auch nicht. Aber ich habe das Monogramm auf seinem Spucktuch gesehen und da ist kein MG eingestickt, sondern ein AvH. Und ich glaube nicht, dass ein Londoner Anwalt mit anderer Leute Spucktüchern durch die Weltgeschichte reist.«
Harriet verdrehte die Augen. »Mein Gott, Alistair! Dafür kann es doch einen ganzen Haufen von einfachen Erklärungen geben!«
»So? Welche denn? Nenn mir doch mal eine!«
Sie überlegte kurz. »Na ja, es kann zum Beispiel einer . . . einer Frau gehören, die er liebt und die es ihm verehrt hat«, sagte sie und errö tete leicht. »Er trägt ja auch einen Ring und könnte mit dieser Frau verlobt sein.«
»Nein, der Bursche ist verheiratet. Das hat er mir selbst erzählt, als wir in Piteschti auf die Postkutsche gewartet haben. Da hat er er wähnt, wie schwer es ihm gefallen ist, seine Frau in London zurück lassen zu müssen. Und wenn dieses Taschentuch ihm aus irgendei nem anderen Grund lieb und wert ist, würde er dann seinen Rotz da hineinspucken?«, hielt Alistair ihr vor.
»Das entbehrt nicht einer gewissen Logik«, räumte Byron ein.
»Herrgott, was kümmert es uns, was dieses Monogramm zu bedeu ten hat und warum er dieses Taschentuch dabeihat!«, sagte Horatio. »Mister Golding kann tun und lassen, was ihm beliebt. Wir haben doch wohl Wichtigeres zu tun, als uns über ein Monogramm die Köpfe heißzureden. Haben Sie vergessen, dass einige Tausend Bü cher in der Bibliothek darauf warten, von uns in die Hand genommen zu werden? Denn falls es sich um einen alten Folianten handelt, in welchem Mortimer Pembroke etwas hinterlassen hat, dann steht der Titel nicht auf dem Buchrücken, wie es neuerdings häufig der Fall ist, sondern nur innen. Herrschaften, das wird eine Heidenarbeit, die uns da erwartet!«
Horatio behielt recht. Beim Anblick der Bibliothek sank ihnen das Herz. Die dunklen Wandregale, die vom Boden bis zur Decke reichten, waren mit Büchern nur so vollgestopft. Und die meisten davon waren ledergebunde Folianten aus vergangenen Jahrhunderten. Zudem war das Licht schlecht, weil es nur auf der zur Schlucht gelege nen Wand zwei Fenster gab. Die beiden anderen auf der gegenüberliegenden Längswand, die auf den großen inneren Burghof hinausgehen mussten, waren aus einem unerfindlichen Grund mit schweren Granitblöcken verschlossen worden. Nicht einmal eine papierdünne Ritze zeigte sich zwischen dem ursprünglichen Mauerwerk und den eingesetzten Felsquadern.
Im vorderen Bereich stand ein schwerer Schreibtisch, der verriet, wie sehr sich Graf Dracula für England interessierte. Er war übersät mit monatealten englischen Zeitschriften und Zeitungen, mit Reise führern über Englands Großstädte, Almanachen sowie Kursbüchern der Eisenbahnen und aller großen Schifffahrtslinien. Sogar die bei den Adressbücher Londons, das sogenannte Rote und das Blaue, be fanden sich unter diesen Stößen. Und im Regal dahinter fiel der Blick auf Dutzende von englischen Nachschlagewerken, die jedes nur denkbare Spezialthema zum Inhalt hatten. Die Wissbegierde des Grafen schien wahrlich allumfassend zu sein.
Zuerst einmal
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