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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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gingen sie mehrmals die Buchwände langsam ab und suchten nach einem Zeichen, das Mortimer auf dem betreffenden Buch hinterlassen haben könnte, ohne jedoch zu wissen, wie dieses Zeichen aussehen sollte. Mehrmals glaubten sie, einen solchen Fin gerzeig ausgemacht zu haben, sahen sich bei näherer Prüfung des Buches jedoch jedes Mal getäuscht.
    Schließlich gaben sie diese sprunghafte Art der Suche auf und be schlossen, methodisch vorzugehen, indem sich jeder von ihnen je weils eine senkrechte Regalreihe vornahm. Stunde um Stunde nah men sie ein Buch nach dem anderen zur Hand, schlugen es auf, war fen einen Blick auf das Titelblatt und suchten nach eingelegten Blät tern, Kritzeleien oder anderen Hinweisen.
    Es war eine ermüdende Arbeit, zudem machte ihnen der Staub zu schaffen, den sie dabei aufwirbelten und der ihre Augen tränen ließ.
    Sie legten immer wieder Pausen ein, weil es anders gar nicht durch zuhalten war. Zudem bestand Alistair darauf, sich dann und wann ei ne Zigarette zu gönnen.
    In einer dieser Pausen bemerkte Byron, dass Harriet stumm den Kopf schüttelte und dann leise auflachte. Er ging zu ihr hinüber und blickte wie sie hinaus in den gähnenden Abgrund, der sich jenseits der Mauer vor ihnen öffnete. Noch immer umwirbelten dichte Schneewolken die Burg.
    »Ja, wer immer damals den Entschluss gefasst hat, in dieser Wildnis und dann ausgerechnet auch noch auf diesem Felssporn eine Burg zu bauen, muss größenwahnsinnig gewesen sein«, sagte er, weil er zu wissen meinte, was ihr eben beim Blick in die Schlucht durch den Kopf gegangen war. »Wenn ich hier jahraus, jahrein leben müsste, ich würde wohl früher oder später den Verstand verlieren.«
    »Den Eindruck, den Verstand zu verlieren, hatte ich hier für einen kurzen Moment schon heute früh«, erwiderte Harriet leise. »Aber da hat mir nur meine Fantasie einen Streich gespielt.«
    »Wovon reden Sie, Harriet?«, fragte Byron verwundert.
    »Ich werde es Ihnen erzählen, aber nur unter der Bedingung, dass Sie mich nicht auslachen. Und darauf will ich Ihr Ehrenwort! Sonst behalte ich den Unsinn für mich!«, verlangte sie.
    »Nur zu, ich werde nicht lachen. Sie haben mein Ehrenwort!«, versi cherte er.
    Sie zögerte kurz. »Also gut. Es war heute im Morgengrauen. Ich war wach geworden und bin schnell zum Kamin hinüber, um die Glut aus der Asche zu stochern und ein paar Scheite aufzulegen, damit es später beim Aufstehen und Waschen nicht zu kalt im Zimmer ist. Als das getan war, blieb ich noch kurz am Fenster stehen und schaute hinaus in das Schneetreiben. Plötzlich fiel mein Blick hinüber auf die Burgmauer, die hinter unsrem Trakt einen Knick macht und zu dem benachbarten Wohnturm aufsteigt. Und da habe ich . . . es gesehen. Jedenfalls bildete ich mir das in dem Moment ein«, verbesserte sie sich schnell.
    »Und was war dieses Es , das Sie da gesehen haben?«
    »Es sah wie...wie eine menschliche, schwarz gekleidete Gestalt aus, die...die aus der Tiefe kam und...und da die Mauer er klomm«, erzählte sie stockend vor Verlegenheit. »Schnell und sicher wie ...naja, wie eine Echse kroch sie die Burgwand hoch und ver schwand durch eines der oberen Fenster im Turm.«
    Byron musste schwer an sich halten, um nun nicht doch amüsiert aufzulachen. »Eine menschliche Gestalt, die wie eine Echse eine senkrechte Mauer hochsteigt, unter der nacktes, glattes Felsgestein einige Hundert Ellen * fast lotrecht in die Tiefe abfällt?« Ein leichtes Schmunzeln konnte er sich nun doch nicht verkneifen.
    »Ja, ich weiß, es klingt verrückt!«, sagte sie schnell und errötete. »Vermutlich war es nur ein großer schwarzer Vogel, der mir bei dem wilden Schneetreiben wie eine menschliche Gestalt vorkam. Und au ßerdem war es ja auch noch gar nicht richtig hell.«
    »So wird es gewesen sein, eine große Krähe oder vielleicht ein Raubvogel, der da oben in einem der leeren Räume sein Nest hat«, bestätigte Byron. Denn dass dort drüben niemand wohnen konnte, erst recht nicht im Winter, sagten einem schon die glaslosen Fens teröffnungen.
    Harriet drohte ihm nun mit dem Zeigefinger. »Wagen Sie es ja nicht, den anderen davon zu erzählen, Byron! Das würde ich Ihnen übelnehmen!«
    Er legte seine Hand aufs Herz und beteuerte: »Ich werde über Ihre frühmorgendliche Vision von der menschlichen Echse schweigen wie ein Grab! Bei meiner Ehre!«
    * Altes Längenmaß, etw a 60-80 cm
     
    »Ich wusste doch, dass ich es Ihnen besser erst gar nicht erzählt hätte!«,

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