Die Judas-Papiere
passieren, das verspreche ich dir. Jetzt ist alles vorbei, Harriet. Wir kehren so schnell wie möglich nach England zurück. Zum Teufel mit Lord Pem broke und den verfluchten Judas-Papyri!«
Für einen Moment hielt sie sich an ihm fest, als hätten sie alle Kräf te verlassen, und presste ihr Gesicht schluchzend an seine Brust. Doch dann fasste sie sich. Ihr Körper straffte sich und sanft entzog sie sich seiner Umarmung.
»Danke, Byron ...Es...es geht schon wieder ...Eswar so entsetz-lich...die Ungewissheit . . . und dann der...der Knebel, der...der mich gewürgt hat . . . und die ganze Zeit die . . . die Schlinge um den Hals«, stieß sie hervor und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Der Kerl hier lebt noch, aber bestimmt nicht mehr lange«, sagte Alistair in Byrons Rücken und es lag kein Mitleid in seiner Stimme. »Der andere hat es schon hinter sich. Allmächtiger, den hat es gleich von vorne und von hinten getroffen! Das nur zum Thema brüderliche Liebe!«
Byron fuhr zu den beiden am Boden liegenden Ordensmännern he rum. Ein einziger Blick genügte, um Alistairs Feststellung bestätigt zu finden. Der Mann mit dem spitzen Gesicht lag auf der Seite und in verkrümmter Haltung auf den Brettern. Zwei Kugeln hatten ihn von vorne in die Brust getroffen, eine dritte Kugel, die nur von dem Per fectus stammen konnte, war in seinen Rücken eingedrungen.
Der Österreicher namens Tenkrad, der rücklings hingestreckt lag, kämpfte jedoch noch stöhnend mit dem Tod.
Schnell kniete sich Byron neben ihn und beugte sich zu ihm hinun ter. »Wer seid ihr?«, fragte er eindringlich. »Sag mir, wofür euer Or den vom Neuen Tempel steht? Weshalb wollt ihr unbedingt diese Ju das-Schrift in eure Hände bekommen? Und wer ist der Mann, den ihr Perfectus nennt? Sprich zu mir! Du wirst nicht mehr lange zu leben haben.«
Die Augenlider des Sterbenden flatterten. »Ist ...ist ...ermit dem... Notizbuch entkommen?«, stieß er mühsam und mit schwa cher Stimme hervor.
»Ja, das ist er! Und er hat seine Flucht damit erkauft, dass er deinem Ordensbruder dabei in den Rücken geschossen hat!«, teilte Byron ihm mit. »Er ist tot. Und du wirst es auch gleich sein! Also rede!«
Um Tenkrads Mund zuckte es, als wollte er lächeln. »Markion sei . . . Dank, er ist . . . entkommen!«, flüsterte er.
»Hast du Markion gesagt?«, vergewisserte sich Byron. »Seid ihr et wa Anhänger jenes Markion von Sinope, der im zweiten Jahrhundert seine irrwitzige Lehre entwickelt hat?«
Tenkrad schien ihn in seinem Todeskampf nicht gehört zu haben oder dachte nicht daran, ihm darauf eine Antwort zu geben. Für ei nen kurzen Moment verdrängte ein fast erlöster Ausdruck den Schmerz aus seinem Gesicht. »Es ist... geglückt! . . . Haben dies mal . . . nicht versagt!«, röchelte er. »Der Perfectus wird . . . das Evan gelium finden! . . . Die . . . Wahrheit . . . wird offenbar! . . . Gepriesen seien ...Kain...und Judas, die wahrhaft . . . Erleuchteten . . . die Sie ger über . . . den Demiurgen!« Blutiger Schaum quoll aus seinem Mund. Ein letztes krampfartiges Zucken ging durch seinen Körper, dann war der letzte Funke Leben aus seinem Körper gewichen.
»Was hat er gesagt?«, wollte Alistair sofort wissen.
Verstört von dem, was er soeben gehört hatte, richtete sich Byron auf.
»Nicht jetzt! Später!«, wehrte er ab. »Erst mal müssen wir so schnell wie möglich von hier weg und zurück in die Stadt. Wer weiß, ob je mand die Schüsse gehört hat.« Aber ohnehin hätte er sich in seinem aufgewühlten Zustand nicht in der Lage gesehen, ihnen Auskunft zu geben. Zudem war es nicht mit ein paar schnellen Sätzen zu erklä ren, wer Markion von Sinope gewesen war und welche Überzeugun gen er vertreten hatte.
»Du sagst es!«, pflichtete Horatio ihm auch sogleich bei. »Wenn je mand die Polizei gerufen hat und man uns hier antrifft, dann hängt man uns womöglich noch die beiden Morde an den Hals! Also Beei lung, Freunde! Machen wir uns aus dem Staub, solange wir dazu noch eine Chance haben! Oder hat jemand von euch den Wunsch nach einem Stelldichein mit einem osmanischen Henker?«
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S o schnell sie konnten, rannten sie den Pfad zurück, hasteten am Friedhof vorbei und gelangten zur langen Unterbrechung in der al ten Festungsmauer. Doch erst als sie das erste Wohnviertel erreicht und einige seiner krummen Gassen hinter sich gebracht hatten, fühl ten sie sich einigermaßen sicher, der Gefahr der Verhaftung entkom men zu sein. Sie beeilten
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