Die Judas-Papiere
von mehreren unterschiedlich großen Labyrinthen und Irr gärten, außerdem eine Seite, die ausschließlich mit dicht aneinan dergereihten Zahlen und Buchstaben vollgeschrieben war. Die Land schaftsskizzen zeigten schneebedeckte Täler und Berge, eine Burg auf einem Felsen, ein Wappen, eine Ritterrüstung und die dazugehö rigen Waffen. Aber in welchem Land diese Burg zu finden war, wuss te keiner von ihnen anhand der Zeichnungen zu sagen. Dasselbe galt auch für Teil vier. Sie kamen jedoch darin überein, dass jener Ort in einem Land mit muslimischer Bevölkerung liegen musste. Das ver rieten ihnen Teilansichten von mehreren Moscheen mit ihren hohen Minaretten und die Zeichnungen von verschleierten Frauen.
Auf den Seiten von Teil fünf stießen sie auf eine Anhäufung von ky rillischen und griechischen Schriftzeichen sowie auf Skizzen von Bildnissen, die Ikonen ähnelten, sowie von orthodoxen Kirchen und Grundrissen von Klöstern.
»Ikonen sind die bevorzugten religiösen Bilder der Ostkirche. Des halb können diese Zeichnungen ebenso gut auf ein Land des Balkans und auf Griechenland wie auf Russland hinweisen«, sagte Horatio mit einem Achselzucken.
»Bloß nicht Russland!«, stöhnte Alistair auf. »Da ist jetzt schon Win ter! Und wenn ich etwas aus tiefster Seele verabscheue, dann ist es Kälte!«
Und auf den letzten Seiten, die Teil sechs bildeten, dominierten arabische Schriftzeichen und Symbole sowie Zitate aus dem Koran. Die Zeichnungen dagegen ließen wieder keinen Rückschluss auf das konkrete Land zu, dem sie zuzuordnen waren. Die Spekulationen der vier reichten vom Osmanischen Reich mit dem Heiligen Land und Jordanien über Ägypten bis hin zu den Ländern Nordafrikas, die wie Tripolitanien, Algerien und Marokko an das Mittelmeer grenzten.
Denn sie wussten, dass Mortimer Pembroke mit jedem dieser Länder gut genug vertraut gewesen war, um dort einen letzten Hinweis auf den Ort des Versteckes zu hinterlassen.
»Allzu viel ist es ja nicht, was wir bis jetzt herausgefunden haben. Eigentlich nur, dass man Mortimer Pembrokes wirres Zeug in sechs Abschnitte aufteilen kann«, meinte Alistair.
Harriet teilte seine Enttäuschung. »Morgen sind wir in Wien und wissen noch immer nicht, wo und nach was wir dort zu suchen ha ben.«
»Wir werden das Rätsel schon noch lösen«, entgegnete Horatio zu versichtlich. »Dass Lord Pembroke ausgerechnet Mister Bourke als Fachmann der Entziffferung von geheimen Codes ausgewählt hat, wird seinen guten Grund haben.«
»Na, hoffentlich!«, bemerkte Alistair. »Sonst können wir drei unsere restlichen 4 000 Pfund in den Wind schreiben!«
»Dann schlage ich vor, dass Sie sich nicht länger von uns aufhalten lassen und sich ans Entziffern machen, Mister Bourke!«, forderte Harriet ihn auf.
Byron hob in einer Geste des sanften Protestes die Hand. »Halt! So einfach ist das nicht, Miss Chamberlain! Ich werde tun, was in meiner Macht steht. Aber erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen die Lösungen im Handumdrehen präsentiere, wie ein Zauberer ein weißes Kaninchen aus dem Hut zieht – oder wie ein Falschspieler, der sich die Trümpfe aus dem Ärmel holt!«
Alistair grinste und winkte ab. »So etwas Primitives versuchen nur Dilettanten. Echte Profis kennen viel raffiniertere Tricks als im Ärmel versteckte Karten.«
»Sie glauben gar nicht, wie sehr mich das beruhigen wird, wenn wir mal auf Ihre Fähigkeiten angewiesen sind, Mister McLean«, erwiderte Byron.
»Wir helfen Ihnen natürlich, so gut wir können«, versicherte Hora tio. »Sie müssen uns nur sagen, wie und wobei.«
Byron seufzte. »Ja, wenn ich das nur selber wüsste«, murmelte er und schlug wieder die ersten Seiten auf. »Ich tappe genauso im Ne bel wie Sie. Aber aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass es wichtig ist, zuerst die Bedeutung dieser ersten drei Seiten herauszu finden.«
»Dann sollten Sie diesem Gefühl auch folgen!«, sagte Harriet.
Byron nickte. »Ja, das sollte ich wohl. Irgendetwas Wichtiges ist hier versteckt. Und ich vermute, es ist Mortimer Pembroke nicht beim ersten Mal gelungen . . .«
Überrascht sah Horatio ihn an. »Wie kommen Sie denn auf diese Vermutung?«
»Weil dies nicht die wirklichen ersten Seiten des Notizbuches sind. Sein Journal beginnt eigentlich mit Blatt drei. Die ersten beiden Sei ten hat er herausgerissen«, klärte Byron und klappte das Notizbuch weit auf. »Hier unten am Rand sind noch die kleinen Papierschnipsel von Blatt eins und zwei zu sehen!« Er deutete
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