Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
besser gesagt: so ratlos wie zuvor.
    Denn für Byron sahen weder die Reihen der Buchstaben noch die der Zahlen so vielversprechend aus, als könnte darin eine geheime Botschaft enthalten sein. Und falls doch, so fand er keinerlei Hinweis auf den Code. »Die Zahlen sind mal vierstellig, mal dreistellig, mal zweistellig«, grübelte er laut vor sich hin. »Vielleicht müsste man mit einer Null als Füllzeichen arbeiten, sodass alle Zahlen vierstellig wer den. Möglich auch, dass Mortimer mit Blendern gearbeitet hat. Und die Buchstaben müsste man noch einmal auf linguistische Stegano grafie hin untersuchen. Vielleicht steckt da irgendwo ein Sema gramm, ein Akrostichon. Aber nein, das wäre doch etwas zu primitiv und mir auch gleich ins Auge gefallen.«
    Harriet, Alistair und Horatio warfen sich verständnislose Blicke zu. Und Alistair fragte: »Wie bitte? Füllzeichen? Semagramm? Akrosti chon? Linguistische Stegano-dingsbums und Blender? Weiß einer von euch, wovon unser Herr Privatgelehrter da redet?«
    Harriet schüttelte den Kopf. »Nie davon gehört.«
    Auch Horatio wusste nichts mit diesen Begriffen anzufangen. »In den Zitaten ist zwar ständig von Milch die Rede. Aber von dieser Milch der Weisheit hat offenbar nur unser Mister Bourke getrunken!«
    Byron stutzte. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Das ist es, Mister Slade!«, rief er aufgeregt. »Weder die Zahlen noch die Buchstaben enthalten des Rätsels Lösung!«
    »Wie bitte?«, fragte Horatio verblüfft.
    »Die Milch! Das Wort ›Milch‹ taucht in jedem Zitat auf! Das ist allen Bibelstellen gemeinsam! Und das ist ganz eindeutig der Code – oder besser gesagt der Hinweis auf das, was auf diesen drei Seiten verbor gen ist!«
    »Schön und gut, aber was soll dieses Wort ›Milch‹ denn für ein Hin weis sein?«, fragte Alistair skeptisch. »Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass wir in Wien nach einer Molkerei oder einer Milchkuh suchen sollen.«
    Byron lachte auf. »Die Milch, um die es hier geht, ist schon längst vergossen und geronnen. Aber das werden Sie alle gleich sehen!« Und dann winkte er den Steward heran und bat ihn, ihm eine Kerze zu bringen. »Ohne Kerzenhalter. Nur die Kerze. Es reicht auch ein kleiner Stummel. Ich brauche ihn für ein kleines Experiment.«
    Die Passagiere, die erster Klasse reisten, hatten nicht selten reich lich skurrile Angewohnheiten. Dem Steward war denn auch keinerlei Überraschung anzumerken, sondern er versicherte, das Gewünschte umgehend zu bringen.
    Ein Lächeln huschte über Horatios Gesicht, als er begriff, was es mit der Milch auf sich hatte. »Sie nehmen an, dass sich unter all die sen Milch-Zitaten aus der Bibel eine Nachricht in Geheimschrift ver birgt – und zwar buchstäblich mit Milch geschrieben, nicht wahr?«
    Byron nickte. »Nur dies kann die Erklärung für die Anhäufung von derartigen Zitaten sein. Milch wird wie Zitronensaft auf Papier so gut wie unsichtbar, sofern man sie nicht zu dick und zu breit auf trägt. Andernfalls verrät ein weißlicher Schimmer dem aufmerksa men Auge die Geheimschrift. In unserem Fall bieten die vielen Text auszüge aus der Bibel eine gute Tarnung für das, was Mortimer da runter versteckt hat. Und das tritt erst wieder gut sichtbar zutage, wenn man das Papier vorsichtig über einer Flamme erwärmt.«
    »Jetzt bin ich aber wirklich gespannt, ob Sie mit Ihrer Vermutung recht haben, Mister Bourke!«, sagte Harriet.
    »Nicht nur du«, meinte Alistair.
    Augenblicke später brachte der Steward die gewünschte Kerze, jedoch keinen Stummel, sondern eine unbenutzte, deren Docht noch nicht mit einer Flamme in Berührung gekommen war. Er überreichte sie auf einem kleinen Silbertablett und in eine Leinenserviette gewickelt.
    »Prächtig! Ich danke Ihnen!«, sagte Byron und zog die Kerze aus der Serviette.
    »Stets zu Diensten, Sir«, erwiderte der Steward mit ausdrucksloser Miene und entfernte sich.
    Alistair beugte sich zu Byron hinüber, schnippte mit dem Daumen die Kappe seines silbernen Feuerzeugs hoch und ließ den Docht aufflam men. »Ich hoffe inständig, dass Ihre Vermutung richtig ist!«, sagte er. »Lüften Sie das erste von Mortimer Pembrokes Geheimnissen, Bourke!«
    Dass Alistair das »Mister« vergessen und ihn kumpelhaft nur mit seinem Nachnamen angesprochen hatte, ließ Byron ihm in diesem Moment kommentarlos durchgehen. Er hielt den Docht der Kerze in die Flamme von Alistairs Feuerzeug und setzte sie in Brand. Dann nahm er das Notizbuch in die

Weitere Kostenlose Bücher