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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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verstand er doch nun besser, warum Horatio sich seine Opfer ausschließlich unter den Adligen und reichen Kaufleuten aussuchte.
    »Was macht Sie so sicher, dass diese beiden Schwestern hinter dem Komplott gegen Ihren Vater steckten?«, fragte er schließlich. »Und wieso sind die beiden damit durchgekommen?«
    »Weil sie gerissen waren, nach langjähriger Anstellung bei Lady Shelby als ehrlich und vertrauenswürdig galten und die sogenannten Beweise eindeutig gegen meinen Vater sprachen. Sie waren sogar so klug, den gestohlenen Schmuck nicht zum nächstbesten Hehler zu bringen, und sie gaben auch ihre Anstellung erst einmal nicht auf. Erst zweieinhalb Jahre nach dem Diebstahl kündigten sie bei Lady Shelby. Angeblich hatten sie von einer Verwandten, die in Australien lebte und eine Pension in Sydney betrieb, das Angebot erhalten, zu ihr zu kommen, ihr nach dem Tod ihres Mannes bei der Führung der Pension zu helfen und diese dann später zu übernehmen. In Wirk lichkeit war das alles Lüge, denn das Schiff, das sie bestiegen, nahm nicht Kurs auf Australien, sondern hatte New York als Zielhafen.«
    »Sie scheinen die beiden ja nicht aus den Augen gelassen zu ha ben . . .«, sagte Byron mit einem fragenden Unterton.
    »Oh ja, das hat mich viel Zeit und viel Geld gekostet!«, bestätigte Horatio. »Und in den ersten Jahren war ich immer wieder versucht, mich an den beiden zu rächen und...und sie umzubringen. Gottlob waren jedoch meine Vernunft und der Rest an Rechtschaffenheit, den ich mir noch bewahrt hatte, größer als mein Hass. Tja, und dann verlor ich sie doch aus den Augen. Denn als sie das Schiff nach Amerika bestiegen und sich dort vermutlich unter falschem Namen mit dem Erlös aus dem gestohlenen Schmuck ein feines Leben gemacht haben, saß ich gerade zum ersten Mal für zwei Jahre im Gefängnis. Inzwischen habe ich aufgehört, ihre Spur in Amerika finden zu wollen. Wozu auch?«
    Einige Augenblicke saßen sie schweigend nebeneinander, jeder in seine Gedanken versunken.
    Byron ahnte, dass es Horatio Slade nicht leichtgefallen sein muss te, ihm all das zu erzählen und ihm damit einen tiefen Einblick in sein persönliches Schicksal zu geben. Ihm fiel das Sprichwort Jeder schweigt von etwas anderem ein. Wie wahr! Und er empfand plötzlich Beschämung und Bedauern, dass er geglaubt hatte, sich ein Urteil über diesen Mann herausnehmen zu können. Nur zu gut erinnerte er sich, was er auf der Kutschfahrt nach Pembroke Manor und später in Lord Pembrokes blauem Salon über ihn gedacht hatte. Er hatte nicht das Recht gehabt, sich ihm überlegen zu fühlen, auch wenn Horatio Slade als Kunstfälscher und Einbrecher mehrere Jahre im Gefängnis verbracht hatte. Und er nahm sich vor, sich vor derartigen Vorurtei len und Vorverurteilungen in Zukunft zu hüten. Denn wusste er, was er an Horatio Slades Stelle getan hätte?
    »Danke, dass Sie mir das alles anvertraut haben, Mister Slade«, sag te er. »Und Sie haben mein Wort, dass ich dieses Vertrauen nicht missbrauchen werde. Was jedoch nichts an meiner Überzeugung än dert, dass Sie der Welt mehr zu bieten haben als meisterliche Kopien berühmter Gemälde.«
    Horatio lachte leise auf. »Mag sein und wer weiß, was wird, falls wir das Versteck der Judas-Papyri finden. Mit 5 000 Pfund lässt sich eine Menge anstellen«, sagte er und erhob sich von der Bank. »Aber um darüber nachzudenken, wird später noch Zeit genug sein. Und jetzt sollten wir wohl besser ins Hotel zurückgehen. Die anderen werden bestimmt schon auf uns warten. Zudem würde ich jetzt gern von Ihnen erfahren, ob Ihr Behördengang von größerem Erfolg gekrönt gewesen ist als meine Erkundigungen über das Netz der Kanalisation. Die Rolle unter Ihrem Arm sieht mir ganz danach aus!«
    »Zumindest komme ich von meinem Besuch beim Leiter des Kanal amtes nicht mit völlig leeren Händen zurück«, sagte Byron, während er mit Horatio den Saal verließ.
    Auf dem Weg zum Hotel berichtete er, wie er sich beim Leiter des Wiener Kanalamtes als Wissenschaftsreporter der Londoner Times ausgegeben hatte, der angeblich einen längeren Bericht über die mo derne Kanalisation Wiens zu schreiben gedachte, und dass er auf die se Weise Einblick in das entsprechende Kartenmaterial erhalten hatte.
    »Bedauerlicherweise konnte ich mich nicht allein darauf beschrän ken, mir nur Notizen über das Kanalnetz der Josefstadt zu machen und nur dieses abzuzeichnen, sondern ich musste Interesse an dem ganzen System zeigen und mir

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