Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Josua halb zog, halb trug – und er wegen seines eigenen Kummers bitterlich weinte –, kam ihm ein Gleichnis aus der Bibel in den Sinn. Das von dem Besessenen, der zwischen den Gräbern lebte. Dieses Leben zwischen Gräbern war, so erkannte Jussef, das Symbol für einen spirituell toten Menschen. Er nannte sich Legion, weil die Geister in ihm so zahlreich waren. Jeder sehnte sich verzweifelt danach, sich an der spirituellen Wärme seines Wirts zu laben, um die spirituelle Vernichtung zu mildern, doch waren sie sich bewusst, dass sie ebendies töteten, wovon sie sich ernährten. Denn schließlich: Kennt Gift Erbarmen? Jussef strauchelte und stürzte und hätte sich dabei fast das Knie verrenkt. Aber er traute sich nicht, Josua ins Gesicht zu sehen, es war zu furchterregend.
Zunächst fand sich Josua schwebend im Raum wieder, das Nichts umgab ihn, und er erkannte, dass diese Leere niemals enden würde. Die völlige Einsamkeit – dieses Gefühl unendlicher Vereinsamung und tiefster Verlassenheit – war so stark, dass ein Mensch auf der Stelle Selbstmord begangen hätte. Trotzdem hatte Josua erst das Tor betreten; der steile Anstieg begann. Der Verlust, dass der menschliche Körper seiner Besitztümer beraubt wurde – seiner Kleidung –, spiegelte sich auf der spirituellen Ebene wider. Die Kleider der Erinnerung, der menschlichen Güte, des Glücks, der Nähe zum Gutsein wurden ihm von gnadenlosen Händen entrissen.
»Jussef!«, schrie er.
Das Schinden des menschlichen Körpers und seiner spirituellen Entsprechung begann. Gleichzeitig nahm Josua die gefallenen Engel wahr. Die Erfahrung glich der Erfahrung eines Menschen, der zusammen mit den Legionen von Geistern, die an ihm nagten, eingekerkert – gefangen – war. Er betrat die Hölle.
Jussef stürzte zum dritten Mal. Während er unter der sengenden Sonne dalag, dachte er, dass er das freundliche Angebot des Papstes, als Josuas Führer zu dienen, hätte zurückweisen sollen. Eine Bibelstelle kam ihm in den Sinn.
Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß und warum senkt sich dein Blick? Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken, und wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr über ihn!
Herr werden? Nein, nie und nimmer! Sie hatten den Berg erst zur Hälfte erklommen, aber sie waren bereits am Ende. Jussef konnte nicht aufstehen, die Last des komatösen Josua auf seinem Rücken war zu groß. Das Gesicht und der Rücken wurden ihnen von der brennenden Sonne gehäutet, und das Wasser war ihnen auch ausgegangen. Und das nur, um wahrhaft dreimal zu straucheln und zu stürzen – die eigene Menschlichkeit, die eigene Spiritualität, die eigene Göttlichkeit zu verlieren. Nein danke; das würde er einem anderen überlassen.
Hier würde er sterben.
32
Sie kommen hoch für kurze Zeit, dann ist es aus.
Sie werden umgebogen, alle mit der Faust gepackt und
wie Ährenspitzen abgeschnitten.
Hiob 24,24
W ir haben den ersten Krankheitsfall, Mr. President. In der Innenstadt von New York. Genauer gesagt: den ersten von vielen.« David Jefferson saß zusammen mit einer Gruppe aus Medizinern und anderen Wissenschaftlern in einem Sitzungszimmer des Weißen Hauses. Zwei von ihnen waren Virologen.
Auf dem Tisch vor dem Präsidenten hatte der Leiter der Gruppe, Dennis Legen, mehrere dicke Aktenordner voller Daten und Grafiken ausgebreitet. Legen war mit allen äußeren wie inneren Insignien eines erfahrenen Akademikers ausgestattet: Brille, weißes Haar, Vollbart, bestimmter Ton, scharfer Intellekt und selbstbewusstes Auftreten. Er machte sich weder etwas aus dem Präsidenten noch aus Politik. Er verbrachte sein Leben im Labor und damit, die akademische Leiter in der Universität Yale zu erklimmen, denn er wollte – so wie jeder andere in der Welt der Universitäten – am Ende seines Daseins einen beeindruckenden Lebenslauf vorweisen, um zu zeigen, dass er
ein klein bisschen intelligenter
war als die anderen.
»Ich sage ›von vielen‹, weil viele Fälle unentdeckt geblieben sind. Beim Menschen imitiert der Erreger eine Lungenentzündung. Trotzdem handelt es sich nicht um eine Pneumonie, das Virus ist sehr viel tödlicher. Es greift die Blutgefäße an. Die Infektion zeigt sich zuerst in der Lunge und führt schließlich zum Versagen des Atemwegssystems.«
»Handelt es sich um das auf den Menschen übertragene Fischvirus?«
»Unserer Ansicht
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