Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
gepanzerte schwarze Limousine langsam die Zufahrt hinunterglitt, sann er darüber nach, wie die Welt wohl ohne Menschen aussehen mochte.
33
… eure Alten werden Träume haben und
eure jungen Männer haben Visionen.
Joel 3,1
P ater Jussef träumte. Genauer gesagt, er hatte einen Alptraum. Ihm träumte, dass er auf einem Berghang in der ägyptischen Wüste lag. Josua lehnte auf ihm, und sie beide lagen aufgrund von Wassermangel und schwerer Erschöpfung im Sterben. Der Alptraum war von einer erstaunlichen Klarheit, denn Jussef konnte, wenn er die Augen öffnete, die tief unter ihm liegende Wüstenebene sehen. Außerdem konnte er einen großen Geier erkennen, der ihn mit interessiertem Blick betrachtete. Der Geier kam näher. Plötzlich traf ein Strahl kalten Wassers die eine Seite seines Gesichts. Jussef schauderte.
»Heilige Mutter Gottes!«
Alpträume und das Leben haben vieles gemeinsam. Er befand sich tatsächlich auf einem Berghang, und Josua lag tatsächlich auf ihm.
Eine feste Stimme sagte: »Steh auf!«
Jussef spürte, wie eine Last von ihm genommen wurde. Er wurde umgedreht, dann wurde ihm noch mehr kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet. Er öffnete die Augen etwas weiter und stöhnte auf vor Schmerz. Die Sonne schien ihm auf seinen Brummschädel. Er wälzte sich nach rechts. Eilig streckte Bruder Theodore die Hand aus und hielt ihn fest, da sie sich am Rande eines Abgrunds befanden. Einen halben Meter weiter, und Jussef wäre dreißig Meter tief auf den unter ihm befindlichen Bergpfad gestürzt.
»Trink noch mehr – und keine Bewegung!«
Während der Priester, halb tot, auf dem Boden lag, hob man seinen Kopf an, und man flößte ihm Wasser ein. Es war so köstlich, dass es wie Wein schmeckte.
»Wer …?«
»Ich bin Mönch Theodore.«
Natürlich hatte Jussef die Stimme im Klostergarten gehört. Allerdings war er dem Mönch nie begegnet. Er musste wieder ohnmächtig geworden sein, denn eine Hand stieß ihn grob an, und die Stimme sagte, diesmal energischer: »Du musst mir mit Josua helfen.«
Schwach stützte sich Jussef auf den Ellbogen; seine Vision wurde unscharf, und er hätte bereitwillig seinen Kopf verleugnet, wenn er gekonnt hätte. Nach und nach gelangte er aus seiner knienden Haltung in eine stehende – aber nur, um zu straucheln und beinahe zu stürzen. Sein Samariter lehnte ihn gegen die Felswand.
»Wie lange?«
»Du liegst hier schon drei, vier Stunden.«
»Nur! Lebt Josua?«
»So gerade eben.«
Jussef musste seine letzte Willenskraft aufbieten, um das Gleichgewicht halten und anschließend dem Mönch dabei helfen zu können, seinen Schützling aufzurichten und ebenfalls gegen die Felswand zu lehnen.
»Wir müssen ihn den Berg hinaufschaffen.«
»Zu weit … zurück zum Kloster. Jemand wird kommen«, murmelte Jussef.
»Du denkst nicht klar. Wir müssen ihn hinauf zur Höhle bringen, sonst stirbt er.«
Ja, sterben! Das wäre eine Freude, dachte Jussef. Seine Gesichtshaut blätterte ab, und er schien keine Kontrolle mehr über seinen Körper zu haben. Sein Verstand sagte ihm, er solle hier warten, es werde alles gut werden.
»Hör nicht auf die!«, sagte der Mönch.
»›Die‹ – wen meinst du damit?«
»Die
latrunculi
. Hör mir zu! Fass du seinen linken Arm, ich nehme den anderen.«
Zunächst tat Jussef nichts. Als er sah, wie der Achtzigjährige, der selbst gebrechlich war, sich Josuas rechten Arm über die Schulter legte und sich mühte vorwärtszugehen, stieg eine innere Kraft, eine Anteilnahme in ihm auf, und er ergriff den anderen Arm.
»Wie weit?«
»Nicht weit. Geh einfach!«
Nicht weit?
Es war die längste Reise seines Lebens. Jussef konnte sich nicht erinnern, wie er mit einem solchen Gewicht auf dem Rücken überhaupt den ersten Schritt getan hatte, von den nächsten ganz zu schweigen. Der sengenden Sonne ausgesetzt, platzte ihm fast der Schädel, und er begann zu phantasieren. Nur an eines konnte er sich erinnern: dass vor ihnen ein kleiner Junge ging – mit ausgestreckten Armen. Und noch etwas anderes wusste er sicher: Das Kind trug sie alle drei.
»Immer weiter gehen. Immer weiter gehen.«
Sie blieben viele, viele Male stehen. Am Eingang der Höhle brach Jussef zusammen und fiel wieder in Ohnmacht. Als er erwachte, lag er auf einem Felsboden. Jemand hatte ihm einen Teller mit Essen und einen Krug Wasser hingestellt. Er griff nach dem Krug wie ein Verdurstender. Wasser – das Elixier des Lebens! Noch nie war er so dankbar gewesen, es zu
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