Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Lügen gegenüber der Nation? War auch das verzeihlich?
»Ich dachte, du fährst gern in die Ferien.« Er versuchte, sich die Gesichtszüge seiner Tochter einzuprägen. Wann würde er sie das nächste Mal sehen?
»Ja, aber mit
dir!
«
»Nun, ich muss hierbleiben, um meine Arbeit zu erledigen.« Er reichte ihr ihren Lieblingsteddybär. »Denk doch nur an den Strand und das Meer!«
»Ja, das tu ich auch. Aber warum müssen wir nachts fliegen?« Ihr unschuldiges Gesicht blickte zu ihm auf, als er sich neben sie setzte.
»Weil es eine lange Reise ist. Du kannst im Flugzeug schlafen.«
Auch das stimmte nicht. Die Kinder des Präsidenten sollten an einem späten Samstagabend von einem Militärflughafen nach Hawaii ausgeflogen werden, um die Geheimhaltung sicherzustellen. Es würde in der Öffentlichkeit gar nicht gut ankommen, wenn der Präsident seine eigene Familie schützte – nicht, während die Virusepidemie begann, die Bürger der Vereinigten Staaten in großer Zahl hinzuraffen.
»Warum kann Mommy nicht mitkommen?«
»Sie kommt mit. Sie fliegt in ein paar Tagen nach.«
Jefferson drückte seine jüngere Tochter noch einmal. Bei Kindern sollte man keine Favoriten haben, aber von seinen beiden Mädchen ähnelte Ariel ihm am meisten. Erst vier, war sie schon sehr nachdenklich, nicht so rechthaberisch wie ihre sechs Jahre alte Schwester. Auch ihr Teint ähnelte seinem – der seiner anderen Tochter war viel dunkler, glich eher dem seiner Frau. Wenn ein Mensch so aussieht wie man selbst, neigt man dann dazu, ihn mehr zu mögen?
»Wann sehe ich dich wieder?«
»Hm. In … ein, zwei Wochen.« Seine Stimme stockte ein wenig. Normalerweise kamen ihm Lügen mühelos über die Lippen, so wie sich das für jeden gewieften Politiker gehörte. Doch Lügen, die sich eher auf Privates bezogen, bereiteten ihm mehr Mühe. Er wusste nicht, wann er seine Familie wiedersehen würde, denn dies hing davon ab, zu welchem Zeitpunkt die Epidemie vorüber war. Und wenn das Virus sich nun bis nach Hawaii ausbreitete? Seine Kinder waren ihm wichtiger als alles andere auf der Welt.
»Ariel, jetzt aber Schluss!«
Seine ältere Tochter erschien im Türrahmen zum Kinderzimmer. Sie rannte zu ihrem Vater und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich abwandte, denn sie war nicht so offen wie ihre Schwester. Ihre Mutter war genauso. Früher hatte sie als Topanwältin in Washington gearbeitet, vielleicht waren ja deshalb ihre Gefühle abgestumpft. Nancy schien ihm in letzter Zeit weniger liebevoll zu sein. Weniger interessiert an Sex und an ihm als Person.
»Hey, hey, warte! Willst du dich denn nicht von mir verabschieden?« Der Präsident streckte den Arm aus und umarmte seine ältere Tochter. Er wollte sie halten, ihr Gesicht aus der Nähe sehen. Nur für den Fall, dass …
»David, sie müssen los.« Seine Frau stand unter der Tür und tippte auf ihre Uhr.
»Ich weiß, ich weiß.« Jefferson gab beiden Töchtern einen Abschiedskuss. Offensichtlich widerwillig gab er sie aus seinen Armen frei. Es würde ihnen gutgehen, nicht wahr? Schließlich waren sie die Töchter des Präsidenten. Sie würden auf Schritt und Tritt bewacht und von einer Schar von Kinderfrauen und Leibwächtern beschützt werden. Doch was würde mit den Kindern der ganz Armen geschehen? Und denjenigen, die keine Eltern hatten? Wie sollten die mit der Seuche fertig werden? Da wurde ihm klar, wie kostbar seine Kinder – alle Kinder – waren.
»Ab nach unten mit euch beiden! Ich muss mit Mom sprechen.«
Das Ehepaar blieb allein im Kinderzimmer zurück. Der Plan war, dass die Frau des Präsidenten erst in einigen Tagen nach Hawaii fliegen sollte. Es würde nicht gut aussehen, wenn die Medien entdeckten, dass sie zur gleichen Zeit wie die Kinder Washington verlassen hatte. Ihr Flug würde ähnlich geheim vonstattengehen, ohne Vorankündigung, nachts, mit einer Militärmaschine. Die Präsidentenfamilie konnte ein paar Monate auf Hawaii verbringen. Ihre dortige Residenz – einer der vielen sicheren Unterschlupfe für den US -Präsidenten – verfügte über alle Einrichtungen und das Personal, das notwendig war, sich längere Zeit um sie zu kümmern.
»Gibt’s was Neues?«
»Ich habe heute Abend ein Informationstreffen«, sagte der Präsident. Die Nachricht, dass das Virus in Amerika Menschen infiziert hatte, war bis in alle Winkel des Landes vorgedrungen, was einen – vorhersehbaren – Schock ausgelöst hatte. Zusätzlich zum Meeressterben
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