Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
weiß«, sagte der Papst.
Wieso ist der so mundfaul?, dachte Martinelli. Wäre er Italiener gewesen, hätte er überschwängliche Beileidsbekundungen von sich gegeben, wenn er vom Tod der Ehefrau und des Sohnes seines Gegenübers erfahren hätte. Stattdessen stand der Chinese mit teilnahmsloser Miene da. Kein Wunder, dass seine Kardinäle ihn nicht mochten – er war offensichtlich nicht imstande, ihr Spiel zu spielen.
»Die Zahl der Todesfälle wird enorm steigen, die Epidemie wird immer stärker. Millionen können sterben. Sie sollten die Kirchen schließen.«
»Nein«, erwiderte Johannes XXVI . und schüttelte entschlossen den Kopf. »Die Kirchen bleiben bis zum Ende geöffnet.«
»Bis zum Ende?«
»Ja.« Der Papst trat einen Schritt zurück, legte die Hand an die Wand. Auf dieser Seite der Wand, neben ihm, stand ein böser Mensch. Auf der anderen Seite lag die Herrlichkeit Gottes. »Sagen Sie, haben Sie die Absicht, bald zu fliehen?«
Der Präsident wurde knallrot vor Verlegenheit. Er machte den Mund auf, wollte die Frage wütend verneinen.
»Sie haben vor, zu flüchten, nicht wahr?«
Woher wusste der das? Hatte Tiziano mit ihm gesprochen? Bestimmt nicht; der Geheimdienstchef war genauso ungläubig wie er. »Wir müssen Pläne ausarbeiten, Notstandspläne. Um die Regierung zu schützen. Wenn ich als Regierungschef …«
»Sie sollten hier in Rom bleiben …«
»Es könnte notwendig sein …«
»Es gibt kein Heilmittel.«
Martinelli war sprachlos. Er hatte hier unten das gleiche mulmige Gefühl wie beim letzten Mal; ein Verlust des Selbstvertrauens und der Überheblichkeit. Wieso wusste der Papst von diesen Dingen?
»Hat der US -Präsident mit Ihnen gesprochen?«
»Nein.«
»Heiliger Vater, Ihr solltet auf der Hut sein. Möglicherweise gibt es Menschen – Eure Kardinäle –, die Euch aus dem Amt entfernen wollen.«
Der Papst zuckte mit den Achseln, um anzudeuten, dass das kaum von Belang war.
»Werdet Ihr in Rom bleiben? Hier im Vatikan?«
»Natürlich. Die Menschen brauchen mich.«
»Ah ja, verstehe.« Martinelli beschloss, in die Offensive zu gehen. Es war Zeit zu testen, ob der Pontifex verrückt war. »Wie ich höre, habt Ihr verkündet, der heilige Petrus werde bald zusammen mit dem heiligen Paulus wandeln. Was heißt das?«
»Viele Dinge werden bald geschehen; sowohl hier auf Erden als auch in der spirituellen Welt. Aber Sie glauben nicht, oder?«
»Nein.« Martinelli schüttelte den Kopf. »Ich bin nur an
dieser
Welt interessiert.«
»So ist es wohl.« Johannes nahm seine Hand von der Wand. Er war müde und fühlte sich unwohl. »Sprechen wir in einigen Tagen noch einmal!«
»Haben Sie einen guten Rat?« Nicht, dass Martinelli ihn befolgen wollte.
»Gehen Sie weiter Ihren Amtsgeschäften nach, aber verlassen Sie Rom nicht!«
»Wieso?« Martinelli hatte die feste Absicht, die Stadt zu verlassen. Er hatte es inzwischen beschlossen.
Der Papst schaute ihn an. Dieser Mann dachte nur an sich, hatte es immer getan. Er glaubte, alles zu wissen, aber dem war nicht so. Wie ein Blinder würde er straucheln und stürzen.
»Wenn Sie Rom verlassen«, sagte Johannes XXVI . ganz langsam, »werden Sie großes Leid erfahren.«
* * *
Als Martinelli in den Präsidentenpalast zurückkehrte, befand er sich in nachdenklicher Stimmung. War der Papst verrückt? Was sollte das heißen: Er werde großes Leid erfahren, wenn er Rom verließ? Wer könnte ihn denn umbringen wollen? Die Amerikaner? Die Iraner? Wegen seines Wissens, was das Virus betraf? Oder intrigierte womöglich Tiziano gegen ihn? Sicher nicht, er war schließlich sein ältester Freund und Verbündeter. Und wieso wusste der Papst über gewisse Dinge Bescheid? Er musste mit den Amerikanern oder den Iranern im Gespräch sein.
Der italienische Ministerpräsident zog sich in seine Wohnung im fünften Stock des Palasts zurück. Sie gefiel ihm nicht so gut wie seine Stadtwohnung. Diese Wohnung hatte nur dazu gedient, seine Geliebten zu unterhalten. Das alles schien sehr weit weg zu sein. Martinelli nahm ein heißes Bad und legte sich anschließend ins Bett, ein Bett, in dem er mit so vielen Frauen geschlafen – mit ihnen gespielt hatte wie mit einem Spielzeug oder einem warmen Stück Fleisch. Jetzt kam ihm das armselig vor, und er fühlte sich einsam und verlassen. Er dachte an seinen Sohn und seine Frau, hielt aber inne, weil es zu schmerzlich war. Er streckte die Hand nach einem Buch auf dem Nachttisch aus, das er sich von seiner
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