Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
anderen waren aus der Stadt geflohen. Damit unterschrieben sie ihr Todesurteil, denn Martinellis Gesundheitsexperten hatten ihm zweierlei bestätigt: Das Virus breitete sich nicht nur durch Kontakt mit Körperflüssigkeiten aus, sondern auch durch Tröpfcheninfektion. Zudem mutierte das Virus und steigerte seine Wirkung erstaunlich schnell. Das wunderte den Chef gar nicht, denn das Virus war entwickelt worden, um Menschen zu töten, und nun schöpfte es sein Potenzial aus.
Wie im Mittelalter kam das Leben wegen der Epidemie komplett zum Erliegen. Alles war geschlossen, nicht zuletzt auch die Fernsehsender. Die einzige Station, die den Betrieb noch aufrechterhielt, war ein Regierungssender, der Martinellis Satelliten nutzte. Zwar wurden noch zweimal täglich Nachrichten gesendet, ihr Inhalt wurde jedoch stark zensiert; keine Bilder von irgendwelchen Städten und Dörfern wurden gezeigt. Selbst wenn Fernsehteams dazu überredet worden wären, dort hinzugehen, wären die Szenen zu grauenvoll gewesen. Sie hätten enthüllt, dass Dorf um Dorf, Stadt um Stadt verlassen worden war und Menschen und Tiere unbestattet auf den Straßen lagen. Überall wanderten Kinder und alte Menschen auf der Suche nach Wasser und Lebensmitteln zwischen den Leichen umher. Binnen ein, zwei Tagen würden auch sie tot sein, ebenfalls dahingerafft von der Seuche.
Die Armee hatte sich nach Mailand im Norden und Neapel im Süden sowie nach Rom zurückgezogen. Selbst hier war ihre Anwesenheit eine symbolische. An alle Soldaten waren spezielle Schutzkleidung und Schutzmasken ausgegeben worden (zum Teil bereitgestellt von einem der Unternehmen, an denen Martinelli und Tiziano Ugolini Anteile besaßen). Wie sich herausstellte, wiesen allerdings viele Schutzanzüge Herstellungsmängel auf, so dass die Männer starben. Außerdem wurden sie mit langen Metallstangen ausgerüstet, damit sie die Menschen auf Distanz halten konnten. Sie patrouillierten in den Städten in gepanzerten Fahrzeugen und Lastwagen, wobei ihre Hauptaufgabe darin bestand, Plünderer und andere Kriminelle zu erschießen, aber auch Flugblätter zu verteilen, in denen der Bevölkerung mitgeteilt wurde, wann – möglicherweise – in den Verteilungszentren Wasser- und Lebensmittellieferungen eintrafen. Die meisten Menschen trauten sich nicht mehr vor die Tür. Sie blieben zu Hause, lebten davon, was sie noch an Lebensmitteln besaßen, und warfen ihre Toten auf die Straße.
In Rom war der Präsidentenpalast von gepanzerten Fahrzeugen umringt. Zum Schutz Martinellis wurde lediglich einer Handvoll Personen der Zutritt gestattet. In dem Gebäude, in dem sein Büro lag, waren die Mitarbeiter ins Erdgeschoss umgezogen. Die oberen Stockwerke waren geräumt, so dass nur noch Martinellis Büro im vierten Stock, seine Privatwohnung im fünften und der Helikopterlandeplatz auf dem Dach der fünften Etage übrig waren. Diese Geschosse wurden von Tizianos Geheimdienstlern bewacht. Die Möbel im Büro des Präsidenten waren weggeräumt und die Fenster hermetisch verschlossen worden, um die Erreger der Seuche sowie den grauenhaften Gestank der verwesenden Leichen fernzuhalten, der über Rom hing. Zudem waren Luftfiltersysteme installiert worden. Alle Mitarbeiter im Palast hatten Order, Schutzmasken zu tragen und niemandem die Hand zu geben. Auf den Fluren patrouillierten Ärzte und überprüften alle Personen auf Symptome – meist begann die Krankheit mit einem Husten. Der geringste Hinweis auf eine Infektion – und die Person, so hochrangig sie auch war, wurde aus dem Gebäude abgeführt. Mitarbeiter, die gehen wollten, durften nicht zurückkehren. Mehr als ein Drittel war bereits tot. Was aber im Grunde keine Rolle spielte, denn es gab ja keine Regierungsgeschäfte, die weitergeführt werden mussten, bis die Seuche vorüber war. Tatsächlich war das Virus eine Art Wunder, denn es wurde mit etwas fertig, das auch zweitausend Jahre menschliches Bemühen nicht hatten verbessern können: die italienische Bürokratie.
Nur Martinellis Privatsekretärin, sein Geheimdienstchef und sein Armeechef durften das Büro des Ministerpräsidenten betreten. Im vierten Stock zog sich auf ganzer Breite eine dicke gläserne Trennwand durch eines der Konferenzzimmer, so dass Martinelli Besucher hinter einer Art Schutzschirm empfangen konnte. In den letzten Tagen war der Raum jedoch nicht benutzt worden. Die Bürgerinnen und Bürger Roms interessierten sich nicht mehr für ihre Politiker. Sie sahen sich mit
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