Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
klappten auf; sein Blick fiel auf folgende Sätze:
Er stellt die Feldzeichen auf für ein Volk in der Ferne, er pfeift es herbei vom Ende der Erde und schon kommen sie eilig heran. Kein Müder ist unter ihnen, keiner, der stolpert, keiner der einnickt und schläft. Bei keinem löst sich der Gürtel von den Hüften, noch reißt ein Schuhriemen ab. Ihre Pfeile sind scharf, alle ihre Bögen gespannt. Die Hufe ihrer Pferde sind hart wie Kiesel, die Räder sausen dahin wie der Sturm. Es ist ein Lärm wie das Brüllen des Löwen, wie wenn ein Junglöwe brüllt. Er knurrt und packt seine Beute, er schleppt sie fort, und niemand nimmt sie ihm weg. Und es dröhnt über ihnen an jenem Tag wie das Brausen des Meeres. Wohin man blickt auf der Erde: nur Finsternis voller Angst; das Licht ist durch Wolken verdunkelt.
Wie seltsam, ein Bild von herabschwebenden Engeln flackerte in Martinelli auf. Er warf die Bibel in den Papierkorb und griff nach dem Telefon. Caterina. Vielleicht sollte er mit ihr sprechen. Und wenn auch nur, um adieu zu sagen – und
ciao!
50
… der Satan wird aus seinem Gefängnis freigelassen werden.
Offenbarung 20,7
J ohannes XXVI . saß in seiner Privatkapelle im Vatikan. Die Welt versank im Chaos, aber das beunruhigte ihn keinesfalls; es war zu erwarten gewesen – die zwangsläufige Folge der Tatsache, dass ein großes Böses die Welt durchdrang. Zwar lebte er noch in der Welt, sein Geist und seine Gedanken befanden sich jedoch schon längst in einer anderen Sphäre, einer spirituellen – einer Welt, die ihm während seiner Jahre des Leidens klarer geworden war.
Das große Böse des Satans war die Ausübung von Macht. Mit der Führung der Menschheit betraut, hatte der Engel danach getrachtet – und trachtete noch immer danach –, die schwächere Art zu dominieren. Dadurch war die Macht nicht nur in die Welt gekommen, sondern auch in die Grundverfassung des Menschen gelangt. Die Macht trampelte auf der freien Wahl aller Geschöpfe und der essenziellen Harmonie des Universums herum, denn in der Welt Gottes gab es keine Ausübung von Macht. Wahre Weisheit bedurfte keiner Macht. Das göttliche Reich existierte auf der Grundlage von Liebe, auf einer Totalität des Teilens, denn der Thron Gottes reichte aus, alle Menschen zu umarmen, und wenn Gott gab – er war die Quintessenz der Liebe –, dann gab er in seiner Totalität. Somit galt: Wenn ein Mensch Gott erkannte, wie er wirklich war, empfing er im selben Augenblick die Totalität des Schöpfers und der Ewigkeit. Doch zur Wahrnehmung gehören, dass der Mensch sich frei entscheidet sowie eine ungetrübte Einsicht.
Als man Johannes XXVI . als jungen Priester in ein chinesisches Konzentrationslager steckte, weil er im Kampf für die Rechte anderer das Regime kritisiert hatte, war sein Herz bitter gewesen. Bitter gegen seine Mitmenschen und gegen Gott. Der Mensch war böse, und Gott tat nichts dagegen. Erst nach langer Zeit wurde Hua klar, dass er gegen das Böse etwas ausrichten konnte. Zunächst musste er das Böse aus sich und dann aus der Welt entfernen. Ersteres war schwieriger, denn sein Herz und sein Verstand waren umnebelt, wobei das Herz vom Verstand beherrscht wurde. Wie ein Gift, ein spirituelles, aus dem Inneren entfernen? Es musste einen Weg geben, einen Schlüssel. Schließlich entschied er sich für ein System von Gebeten und dafür, seinen Mitmenschen Gutes zu tun, ganz gleich, was geschehen möge. Dabei fiel ihm etwas Seltsames und Geheimnisvolles auf. Es gab andere Häftlinge in dem Lager, die nicht seiner Konfession angehörten, aber die die gleiche Reise gemacht und einen tiefen Zustand des Friedens erlangt hatten. Dadurch waren sie imstande, anderen zu helfen. Vielleicht wirkte Gott ja doch in der Welt. Und noch wichtiger: Vielleicht war das Böse heilbar.
Die Jahre gingen ins Land; Hua setzte seine Gebete fort. Zunächst wiederholte er wörtlich das immer gleiche Gebet. Dann bewegten sich seine Lippen nicht mehr, während sein Verstand es bewahrte. Am Ende schlug sein Herz in Übereinstimmung mit dem Rhythmus des Gebets – genauer gesagt, das Gebet bildete Huas Herzschlag ähnlich wie bei den Schrittfolgen eines Tanzes. Langsam wurde Huas Geist frei von Bitterkeit, und er begann eine große Reise in sein Herz. Aber er ging nicht allein. Er entdeckte, dass alle Menschen durch einen geheimnisvollen Mechanismus verbunden sind und dass er, indem er Gutes tat oder für andere betete, ihre Herzen erreichen und
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