Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
stehen. Er war ziellos auf dem Klostergelände herumspaziert, so wie meistens nach dem Frühstück. Wenn er sich Zeit ließ und den Mönchen und Tagesausflüglern aus dem Weg ging, brauchte er dafür etwa eine Stunde. Nach mehr als sechs Wochen in der Wüste hatte Jussef einen Zustand unüberbietbarer Langeweile erreicht. Hier gab es einfach nichts. Niiiiiichts! Das Kloster war eine Folterkammer, er drohte verrückt zu werden. Sein Denken wurde von drei Zwangsvorstellungen beherrscht, sie flitzten ständig aus seinem Kopf heraus und wieder hinein, wie Affen, die dauernd einen Baum rauf- und runterliefen. Worin bestanden die drei Zwangsgedanken? Erstens: Es gefiel ihm hier nicht. Zweitens waren er und Josua aus irgendeinem verborgenen Zweck, hinter den er einfach nicht kam, ins Exil geschickt worden. Und drittens waren diese Mönche knallverrückt – an solch einem Ort zu leben! Ihr Dasein war völlig, war total sinnlos, und er würde wie sie enden, wenn er nicht aufpasste. Das hier war ein spirituelles Irrenhaus.
»Kommen Sie, ich brauche Hilfe!«
Jussef verzog das Gesicht; er war so gelangweilt, dass er den Gedanken an Arbeit nicht einmal in Erwägung zog. Warum sollte er den Mönchen helfen – war es denn sein Garten? Und er wusste,
wusste einfach
, dass Josua ihm, wenn er half, irgendeine tiefe theologische Frage stellte, die selbst Gott verwirren würde. In Wahrheit war die Bibel für ihn in letzter Zeit ein undurchdringliches Dickicht. Immerhin eignete sie sich ganz gut als Türstopper, da die Tür zu seiner Zelle häufig klapperte, wodurch er nachts aufwachte.
»Ich muss jetzt los. Ich glaube, der Abt hat mich ge…«
Leider war er nicht schnell genug. Sein Schützling stand bereits neben ihm und drückte ihm auf seine übliche freundliche Art eine Hacke in die Hand.
»Helfen Sie mir, sonst sterben Sie noch vor Langeweile!«
Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen; Jussef konnte auch nicht ansatzweise beschreiben, in welch fürchterlicher Verfassung er sich befand. Er nahm die ramponierte Hacke in Augenschein. Na ja, vielleicht konnte er fünf Minuten helfen. Unter deutlicher Zurschaustellung seines Widerwillens nahm er die Hacke und begann, neben Josua im Garten zu arbeiten. Erst machte er einige halbherzige Versuche mit dem Gerät, dann strengte er sich nachhaltiger an. Es war nicht allzu heiß und immer noch besser, als ziellos herumzuspazieren. Eine Art Reise ins Nirgendwo – die vollkommene Beschreibung seines gegenwärtigen spirituellen Zustands.
»Ich habe eine Frage.«
Jussef zog eine Grimasse. Mutter Gottes! Er hatte doch jetzt keine Lust, spirituelle Ratschläge zu geben. Er begann, fester auf die Erde einzuhacken.
»Es gibt da eine Stelle in der Bibel, die ich nicht verstehe.« Josua ging zu einer Bank, nahm das Buch zur Hand und las die Passage laut vor. »Was bedeuten die Sätze?«
Die gefürchtete Frage. Jussef hielt inne. Beim letzten und beim vorletzten Mal hatte er auf Anhieb geantwortet – mit keinem guten Resultat. Er war durcheinandergekommen. Ganz klar: Gott brauchte Zeit, um die Antwort zu finden, bevor er den Geist eines Menschen von ihr in Kenntnis setzte.
»Lass mich mal nachdenken.«
Jussef hackte weiter. Er hatte nur fünf Minuten helfen wollen, aber allmählich fand er Vergnügen daran. Gleichzeitig war er sich eines inneren Kampfes bewusst. Bei früheren Anlässen hatte er die Gedanken unterdrückt, diesmal jedoch waren sie machtvoll. Sollte er Josua die Wahrheit sagen? Aber was war die
Wahrheit?
Die Wahrheit lautete: Der Mönch Theodore war für Josua nützlicher als er; Theodore war Josua ein besserer spiritueller Führer. Das einzugestehen, dazu hatte Jussef keine Lust; es kränkte sein Ego und sein Statusgefühl.
Er
sollte Josuas Führer sein, und der Papst …
»Marta.«
Die innere Stimme war ganz deutlich zu vernehmen. Jussef hackte weiter. Also, wenn er sich’s recht überlegte, wirtschaftete er wie Marta, verrichtete eine körperliche Arbeit für andere. Er hielt inne, die Hacke halb erhoben. Natürlich war es nicht wahrscheinlich, aber vielleicht war Marta ja ein Symbol für gute Taten. Und wenn Marta das Symbol für gute Taten war, wofür stand dann Maria? Sie saß zu Füßen Christi. Und Christus zu Füßen sitzen …
»Gebete.«
Wieder vernahm Jussef die innere Stimme, laut und deutlich. Er warf die Hacke auf den Boden, ging zur Bank hinüber und las die Bibelstelle. Wenn er recht hatte, dann könnte die spirituelle Bedeutung dieser
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