Die Juden von Zirndorf
welche ihn rief: wo bist du, Agathon?
Jeanette lächelte und trat an den Tisch. Er setzte sich zu ihr, so nahe, daß ihre Körper sich streiften, und Agathon wurde völlig ausgefüllt von dem Bewußtsein dieser großen, und wie ihm vorkam, unverdienten Nähe; die Welt rückte dadurch in eine maßlose Ferne, versank in einen Abgrund. Jeanette schälte und zerlegte die Orange und Agathon erlebte jede ihrer Bewegungen mit, ja, es war ihm, als ob er selbst die Frucht zerteilte. Dann reichte sie ihm ein Stück und er aß. Er fühlte nicht die Süßigkeit der Frucht, es wurde ihm kaum bewußt, daß er aß. Sie beschäftigten sich damit, das Öl der saftreichen Schale in die Flamme zu spritzen; es knallte und zischte, beide lächelten. Agathon lächelte aber wie über etwas in einem andern Leben Erlebtes, er lächelte Jeanettens Lächeln mit, vielleicht aus Furcht, daß sie aufhören könne zu lächeln. Plötzlich machte Jeanette eine halbe Drehung gegen ihn; ihr Gesicht wurde beinahe steinern, ihr Blick verschlingend groß, unbarmherzig wild, und er sah ihre Zähne schimmern. Sie stand auf.
Die Kerze war erloschen. Agathon fühlte zwei Arme um sich geschlungen und an seinem Halse die feuchte Berührung eines Mundes. Seine Sinne schmerzten, daß er glaubte, es müsse mit ihm zu Ende gehen, daß er die Nacht verwünschte. Was er dann empfand, war eine sich ausbreitende Angst, das Gefühl, als ob das Zimmer luftleer sei, und endlich eine verzweifelte, brennende Begierde.
»Was zitterst du so?« fragte Jeanette leise. Dann knisterten wieder ihre Kleider; es fielen ihre Haare herab und hüllten seine Hände ein. Er lag mit offenen Augen, die wie erblindet waren und fühlte die warme Haut ihres Körpers, und ihn schauerte bis ins innerste Mark seiner Knochen. Sie küßte ihn; er dachte, daß sie ihn besser hätte nicht küssen sollen, denn er glaubte zu ertrinken in einer heißen Gischt, sein ganzer Leib war ein zuckender Schmerz, der alles in einen übermäßigen Rausch versetzte, dann kam ein bewußtloses Versinken; das anfänglich blendende Licht verlor sich, und plötzlich fiel er wie zerschmettert nieder auf Steine und blieb liegen, voll von einem grenzenlosen, vorher nie erfaßten, noch geahnten Jammer.
Er wußte nicht mehr, wie er sich erhob, in die Kleider kam, wie er das Zimmer verließ, auf der Straße stand, die sich breit hindehnte in einen mühsam aufquellenden Morgennebel. Er sah einen Garten vor sich und sah das Tor offen; er streckte sich hin auf den Sockel eines Brunnens, der noch mit Stroh umwunden war; er streckte sich hin und legte den Kopf auf die Arme und begann bitterlich zu weinen.
Als er aufsah, war die Sonne emporgegangen aus der Umarmung riesenhafter Wolken. Ein Hahn krähte. Kräftige Frische lag in der Luft.
Jeanette schlief noch, als er zurückkehrte. Ihr Gesicht hatte etwas so Eisiges und Totes, als ob das Leben nie wieder die Züge bewegen könne. Auf den geschlossenen Lidern lag eine Müdigkeit, die an den vollen Tafeln des Lebens entstanden und genährt worden war. Durch die Spalten der Gardinen fiel ein schmales Sonnenband auf ihre schneeweiße Brust.
Als sie zusammen frühstückten, blickte ihn Jeanette scharf an und sagte: »Nun siehst du wohl, daß die Welt aus Schmutz besteht.«
Agathon schwieg.
»Du siehst, was ich bin,« fuhr sie fort. »Und du kommst und verlangst, daß wir nicht mehr glauben sollen. Das ist ja ohnehin unsere Krankheit, das Nichtglauben, jetzt ist deine Mauer gefallen, Agathon, und du hast dich überzeugt, daß sie dir nur einen Haufen Schmutz vorenthalten hatte. «
»Ist es nicht vielleicht deswegen Schmutz, weil wir es so wollen? Weil du es willst?« fragte Agathon. »Weil du dich der Stunde schämst, in der du dich hergegeben hast? Liegt nicht in der Vereinigung von Mann und Weib Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit? Und nur darin? Warum sollte das Schmutz sein, was so erhaben sein kann?«
»Wirklich? Kann es das? Kann es so erhaben sein? Köstlich. Ihr Männer seid unverbesserliche Trunkenbolde.«
Dann fuhr sie mit starrem Blick fort: »Auch du, auch du, Agathon, mußtest fallen. Aber es ist mir klar, wozu es dich treibt. Du willst die Sinnlichkeit wieder auf den Thron setzen, den sie seit zweitausend Jahren verlassen hat. Das liegt in dir, spricht aus deinen Worten, strahlt aus deinen Augen. Aber eher kannst du dein Hirn verbrennen, oder du mußt neue Menschen formen. Das ist alles unanständig, was du willst, verstehst du, unanständig; das ist das
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