Die Juden von Zirndorf
Glaube ist Judentum. Immer werden die Juden, auch die Christen sind Juden, immer werden sie neue Götter bringen. Immer werden sie eine neue Art von Heiland bringen. Warum lächelst du? Jetzt könnte die Menschheit ihre Kinderschuhe verlassen und könnte Gott eine andere Erde großsäugen. Dann ist das Leben nicht mehr wie ein unverdientes Geschenk oder wie eine unverdiente Strafe. Dann gibt es keine Todesfurcht mehr, kein Verbrechen mehr, dann wird alles größer, unermeßlich größer. Aber ich kann nicht das Eigentliche sagen, ich kann dir nicht das Bild schenken, Jeanette.«
Ein langes Schweigen entstand.
»Du meinst vielleicht, es ist Atheismus,« begann Agathon wieder. »Nein, das wäre borniert. Die Atheisten sind bloß ungezogene Kinder und sie wollen selber Papa spielen, wenn der Vater ausgegangen ist. Aber siehst du, Jeanette,« fügte Agathon etwas schüchtern hinzu und leiser als bisher, »etwas quält mich und ich weiß nicht was es ist. Es macht mich unruhig in der Nacht und quält mich bei Tag und es ist mir, als stünde ich vor einer Mauer.«
Jeanette lag mit aufgestütztem Ellbogen auf dem Sofa, während ihre Füße den Boden berührten. Die Linien der Beine zeichneten sich durch den Stoff hindurch ab, und Agathon blickte wie gebannt auf diese etwas gewaltsam geschwungene Kurve, während ihn Jeanette mit einem heißen, träumerischen Blick gleichsam suchte.
Am Nachmittag wurden Kleider gebracht für Agathon, sowie ein Domino, denn Jeanette wollte, daß er abends mit ihr zu einem Karnevalsfest ginge. Er wunderte sich über ihr Wesen, das jetzt an Grellheit abgenommen hatte, über ihren Gang, der etwas Wiegendes, Zögerndes, Erwartendes hatte, über ihre Worte, die bald kühn, bald zaghaft, bald heftig, bald gedrückt waren.
Der Festsaal war groß. Die Galerien und Wandelgänge waren durch Glühlampen erleuchtet und glichen einem breiten Feuerband, das um eine milde Dämmerung geschlungen war, in der die Säulen silbern glänzten, die Guirlanden wie aus dem schwülen Duft herausgewachsen schienen, die künstlichen Rosen wie Blut schimmerten und der goldverbrämte Plafond einem glühenden Abendhimmel glich. Das bunte Treiben erweckte Agathon den Eindruck des Geräuschlosen, Zauberspielhaften; alle Farben flossen in ein Bild, alle Töne in einen Ton, alle Heiterkeit hatte ein Ziel, und dies wogende Murmeln war wie das ferne Branden eines Meeres, über dem der Tag aufgehen will.
Aber plötzlich, ganz mit einem Male und auf einen Anstoß wurde Agathon sehend. Und zwar in solchem Maß, daß er vor Grauen, Scham und Beleidigung wie verwundet war. Er schritt durch einen etwas abseits gelegenen Wandelgang, als er einen alten und ziemlich zerlumpten Mann an der Tür stehen sah. Der Alte spähte lauernd und unruhig in den Saal, legte die Hand wie einen Schirm gegen die Augen und murmelte. Bald darauf kam ein junges Mädchen, deren Bewegungen graziös und übertrieben kindlich waren, auf den Alten zu, und ihr Mund unter der Maske verlor sein Lächeln. Sie reichte dem Alten Geld; mit unbeschreiblicher Gier riß er ihr die Münzen aus der Hand und flüsterte ihr etwas zu, wobei seine Augen fast aus den Höhlen traten. Das Mädchen nickte und der Alte humpelte hinaus. Das Mädchen setzte sich auf eine Bank, drückte beide Hände gegen die Brust und atmete auf, dann warf sie beide Arme in die Luft, als wolle sie den Wirbelwind von Gedanken beschwichtigen und sprang wieder mit dem übertrieben-kindlichen Gebaren davon. Agathon suchte ihr zu folgen, verlor sie aber aus den Augen. Er sah statt ihrer einen befrackten Herrn, der zu Komplimenten verbogen war wie ein Fragezeichen, einen andern, der übernächtig fahl, von Säule zu Säule schlich in der Art eines Gewürms, lichtscheu, träg, voll Verachtung, Müdigkeit, Hinfälligkeit; einen dritten, dessen Lachen wie ein Schuß war, der abgefeuert wird, um eine nahende, nagende Angst oder das fletschende Gespenst der Sorgen zu verscheuchen; einen vierten, der, künstlich und aufgeregt, geschäftig herumeilte und dessen Züge durch eine Aufgabe von eingebildeter Wichtigkeit bis zur wilden Erregung zerwühlt waren; einen fünften der grinsend und nickend durch die Reihen strolchte, der Zynismus in Person, mit einem von Lastern aufgepflügten, vom Unglück mit Narben gezeichneten Gesicht; einen sechsten, der voll Anstand, Schüchternheit und Zuvorkommenheit sich allenthalben überflüssig schien, um dessen Mund eine wachsende Bitterkeit lag, während in seinen Augen
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