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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Wort, das dich erdrosselt. Wenn du es aus der Welt schaffst, dann glaube ich an dich. Ist es nicht unanständig, wenn wir die Kleider abnehmen und uns sehen? Ist es nicht unanständig, Kleider zu haben und an Liebe zu denken? Ach, nur die Kleider sind schuld, daß wir so krank lieben. Und dann bedenke, eine Religion, die nicht die Sinnlichkeit erstickt, schleudert die Könige vom Thron.«
    Eine Zeitlang schwieg sie, dann stand sie so heftig auf, daß der Stuhl hinter ihr auf den Teppich zurückfiel. »Nun sollst du alles wissen. Damit wenigstens ein Mensch weiß, was ich leide. Nicht mich ruft der König, sondern ich habe alles daran gesetzt, um zu ihm zu kommen. Keinen Schleichweg, keine Hinterlist habe ich gescheut. Er soll mein letztes Medikament sein. Vielleicht finde ich dort Heilung. Es geht ein Stolz und eine Hoheit von ihm aus wie ein Sturm übers ganze Land. Denn siehst du, ich langweile mich. Ich langweile mich, seit ich auf der Welt bin. Ich langweile mich bei Putz und Schmuck, beim herrlichsten Sonnenaufgang und beim schönsten Gemälde. Versteh mich recht, es ist mehr als die Langeweile, aus der müßige Frauen Ehebruch begehen, Dummköpfe zu Verbrechern werden, aus der die Hälfte alles Übels in der Welt geschieht. Nein, ich habe noch keinen einzigen Menschen kennen gelernt. Ich war in Paris am Herzen der Erde gelegen und habe gezittert mit den Pulsschlägen der Nacht, ich habe den vornehmsten Pöbel rasend gemacht durch den Tanz, ich habe jubelnd sämtliche Tugend zum Teufel gehen lassen, – aber ich habe mich gelangweilt. Ich habe mich in den Betten gewälzt, die Kissen zernagt und jeden Tag verflucht; ich habe um Krieg gebetet und ein grauenhaftes Kanonenmodell konstruiert, ich bin in die Berge gegangen und einsam geblieben; ich habe die berühmten Männer aufgesucht und fand sie so öde, daß mir war, als müßte ich sie in den Arm zwicken, damit sie wenigstens einmal schreien möchten, – alles war umsonst. Und was willst du , armer Agathon, hier! Geh fort, auch ich packe heut mein Bündel und fahre.« Sie ging zum Fenster, riß es auf und sog mit geblähten Nasenflügeln die Luft ein. Als Agathon ruhig blieb und sie beobachtete, stampfte sie mit dem Fuß auf und knirschte mit den Zähnen wie ein bösartiger Hund.
    Ein leises, aber bald anschwellendes, helles Gemurmel wurde hörbar. Eine Prozession von Kindern zog die Straße herab. Die zuerst Kommenden beteten, wodurch das silbrige monoton gleitende Murmeln entstand; die letzte Schar sang. Alle Gesichter hatten eine so abenteuerliche Gleichgültigkeit, eine solch dumme und gequälte Feierlichkeit, daß es zugleich lächerlich und schrecklich war. Den Nachtrab bildeten sechs Ministranten in weißen Gewändern, einer trug ein großes, schwarzes Kreuz. Jeanette sah darauf, und ihr Blick war fasziniert. Sie schauderte.
    Agathon wich zurück vor ihr und ging. Ihm war, als ob er eine Tote verließ, deren Seele man da draußen schon zum Grab geleitete.
    Auf der Straße folgte er dem Leichenzug in der Nähe des Sargs. Es war ein Kindersarg, ein blasses und gebrechliches Häuschen und der Tod hockte mit einem Kranze darauf und sang im Chor. Agathon dachte den Tod um die Zukunft zu fragen, da das Leben so schweigsam war.

Sechzehntes Kapitel

    Nach dem unerwarteten Erfolg seines Buches hatte sich Stefan Gudstikker beeilt, eine vornehme Wohnung zu mieten. Er betrieb eine eigene Art von Leutseligkeit gegen seine Bekannten, die darin bestand, daß er seinen berühmten Namen, auf Visitenkarten gedruckt, häufig in ihre Briefkasten schob; er ließ das Haar ein wenig länger wachsen, den Bart ein wenig imposanter stutzen, ließ sich photographieren, und zwar in einem Gesellschaftsrock, mit einer Kravatte von durchbrochenem Rips, den Zylinder in der Hand, mit fest nach vorwärts gerichtetem, gleichsam unparteiischem Blick und etwas mitleidig verzogenem Mund. Nach solchen Vorbereitungen beschloß er, sich seinen Kollegen in der Hauptstadt zu zeigen und sprach gegen seine vertrauten Freunde stirnrunzelnd von den Kniffen, die er werde anwenden müssen, um gewissen Festlichkeiten zu entgehen.
    Kisten und Koffer waren gepackt. Die Fenster standen offen, und ein würziger Strom Vorfrühlingsluft floß herein. Gudstikker war beschäftigt, seine Reiselektüre zu sichten, als sich die Türe öffnete und Monika Olifat hereinkam. Sie öffnete die Türe nur wenig und schob sich furchtsam durch den Spalt. Gudstikker war nicht angenehm überrascht, doch nahm er sich

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