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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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meinen Sie denn zu der geheimnisvollen Geschichte da mit dem Mord?« sagte er, den Rauch mit geblähten Nasenflügeln in die nebelerfüllte Luft blasend.
    »Ich weiß nicht.«
    »Es interessiert Sie wohl gar nicht? Im übrigen, es ist ganz und gar Legende. Es ist durch nichts erwiesen, daß ein Mord vorliegt. Die Gerichtskommission hat alle Türen, alle Fenster versperrt und keinerlei Verdachtsmerkmale gefunden. Das einzige, was zu denken gab, war ein unerklärlicher roter Fleck auf der Brust des Leichnams und dann der jähe Tod selbst.«
    »Ein roter Fleck?« hauchte Agathon; sein Hals schnürte sich wie unter einer Faust zusammen.
    »Ja, aber lassen wir das. Ich liebe nicht derlei krasse Furchtbarkeiten. Wohin gehen Sie?«
    »Zu Löwengards.«
    »Baron Löwengard? Was wollen Sie denn dort?«
    »Ich esse dort zu abend,« erwiderte Agathon. »Dienstag und Freitag Übernacht' ich auch dort, weil Mittwoch und Samstag die Schule schon um sieben beginnt.«
    »Die Genauigkeit Ihrer Auskunft läßt nichts zu wünschen übrig. Das alles dürfen Sie? Sogar übernachten? Sagen Sie mal, – Ihre Eltern sind wohl sehr arm?«
    »Ja.«
    »Wie alt sind Sie denn? Achtzehn?«
    »Siebzehn.«
    »Na, um so besser. So kennen wir uns also. Ich heiße Gudstikker. Rufname: Stefan. Geboren zwölften Mai achtzehnhundertsechzig. Verrichtung unbekannt. Aber nun erzählen Sie einmal, was hat eigentlich Sürich Sperling gestern mit Ihnen angestellt? Er nahm Sie unter den Arm und ging mit Ihnen ins Haus. Sie rührten sich nicht. Andere hätten gezappelt wie ein Fisch, aber Sie waren bloß stumm wie ein Fisch. Ich habe alles gesehen vom oberen Stock. Ich wohnte ja im Sebalderhaus.«
    Agathon blieb stehen und lehnte sich schweigend an einen Laternenpfahl.
    »Reden Sie doch,« fuhr Gudstikker fort und stellte den Kragen seines Mantels in die Höhe. »Ich kenne den Sürich Sperling schon lange. Er war kein gewöhnliches Exemplar der Spezies Mensch. Er konnte lumpen durch sieben Nächte, ohne Schlaf zu suchen. Wenn er müde wurde, setzte er sich in einen Stuhl, schloß für zwanzig Minuten die Augen und wußte von sich und der Welt nichts mehr. Erhob er sich wieder, so war er frisch wie vor den sieben Tagen. Einmal, als er melancholisch war, ging er auf den Speicher und zertrümmerte mit der nackten Faust Kisten und Kasten und Bretter. Seinen Hund schlug er halbtot, wenn er unfolgsam war, und danach konnte er sich hinsetzen und heulen wie ein kleines Mädchen. Bis vor sechs Jahren hatte er überhaupt keine Frau berührt und als er die erste nahm, wäre das arme Weib ihm fast in den Armen gestorben. Das war ein Mensch!«
    Es entstand ein langes Schweigen. Agathon wurde durch das ganze Wesen Gudstikkers verwundet. Seine Geschwätzigkeit beunruhigte und jede Geste erschreckte ihn.
    »Wie heißen Sie denn eigentlich?« fragte Gudstikker.
    »Agathon. Agathon Geyer.«
    »A – ga – thon –?«
    »Ja.«
    »Seltsam. Wie kommen Sie zu dem Namen. Agathon ... So hieß mein Vater.« Wieder eine Pause. Dann wurde Gudstikkers Stimme gütig. »Sie gefallen mir,« sagte er. »Ich weiß kaum warum, aber vielleicht steckt etwas in Ihnen, was mir imponiert. Bei euch Juden gibt es manchmal Individuen von wunderlicher Kraft. Besonders in Ihrem Alter. Daran mag es liegen. Wenn sie so jung sind, ist ihre Seele von unbeschmutztem Feuer erfüllt. Sie sind starke Träumer, möchten die Welt aus den Angeln heben und wissen doch nichts von der Welt. Wenn sie es nur wüßten! Gehen Sie hin, Agathon, wecken Sie Ihr Volk auf. Sagen Sie, wach auf mein Volk, wie der Prophet in der Wüste. Na gleichviel, was scheren mich denn die Propheten. Glauben Sie, daß es heut Nacht regnen wird?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht. Vielleicht schneit es. Vielleicht auch nicht.«
    »Ah, Sie sind boshaft. Na gleichviel. Ich muß Ihnen sagen, es ist nicht Neugierde, wenn ich Sie vorhin fragte, was Sürich Sperling mit Ihnen gemacht hat. Auch nicht Teilnahme. Nun, werden Sie nur nicht wieder ungeduldig. Stellen Sie sich die ganze Situation vor. Später kommt Sürich in mein Zimmer, bleich, erregt, und redet von gleichgültigen Sachen. Er spricht von der Ziegelei, die der Vater meiner Braut jetzt gekauft, und plötzlich legt er sich auf mein Bett und verstummt.«
    »Verstummt?« fragte Agathon mechanisch.
    »Verstummt. Nach fünf Minuten stand er auf, ging vors Haus und dort saß er dann wieder zwei geschlagene Stunden, ohne sich zu rühren. Um neun Uhr ging der Schmied heim und rief ihn an. Wer aber

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