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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Sehenswürdigkeiten aus. Wirr und schrill klangen die Orgeln, Pfeifen und Trompeten und das Gebrüll der Tiere drang aus der Menagerie. Trompeten, Pfeifen und Ratschen erschallten, ein wüstes Summen, Surren und Johlen. Kinder mit vor Neugier bleichen Gesichtern machten sich keuchend Bahn. In den Wirtschaften gröhlten die Zecher. Aus den engen Gäßchen zog der übelriechende Rauch der Heringsbratereien. An der Glückshalle stand Kopf an Kopf eine bewegungslose Menge. Daneben lief ein großes Karussel auf Schienen; es wurde durch einen sinnreichen Mechanismus in rasende Schnelligkeit versetzt. Man sah dann nur schattenhafte Gestalten, verzerrte Gesichter und bacchantische Schreie. Unter den Leinwanddecken des Zeltes brannten Pechfackeln; es sah aus wie ein ungeheures, von schwarzem, schwälendem Rauch durchzogenes Feuerloch.
    Agathon schob sich durch die Massen, während seine Seele warm und gerührt wurde. Ein beglücktes Heimatsgefühl erfaßte ihn; er hatte freudige Augen für das, was rings geschah und sah die vielen Gegenstände, die allenthalben zur Schau geboten wurden, mit zärtlichen Blicken an. Er blieb vor dem Kasperltheater stehen und schaute zu; ein alter Arbeiter mit grauem Lockenhaar stand neben ihm und wollte schier sterben vor Lachen. Die Kirchenglocke begann wieder zu läuten. Bestürzt blickte Agathon am Turm empor.
    Der Ausrufer des Wachsfigurenkabinetts strengte sich mehr an, als seine Kameraden. »Hier kann man sehen die Passion Christi, unseres Heilands, in siebzehn Stationen, – großartig, meine Damen und Herren, großartig!« schrie er, heiser vor Begeisterung.
    Wie von einer Faust gestoßen, bestieg Agathon das Podium, zahlte zwanzig Pfennige, das einzige Geldstück, das er besaß, und verschwand hastig hinter dem braunen Vorhang.
    Tiefaufatmend stand er in der dumpfen Luft des Innenraumes. Nur eine Bauernfamilie ging mit scheuen Schritten umher. Gegen eine scharlachrote Wand hoben sich die Gruppen der Leidensstationen ab. Das gleichmäßige und beruhigende Licht milderte das Starre der Wachsgebilde. Es war etwas Erhabenes und Heiliges über den Gestalten, ferne Zeiten stiegen langsam herauf, und es war, als ob die Schicksalsgöttin selbst träumend die Augen aufschlüge. Das ist also der Heiland, dachte Agathon befremdet, als er vor dem Bild der Kreuzabnahme stand. Er preßte die Hände zusammen und dachte nach. Freunde und Eltern kamen wie eine Reihe vorbereiteter Wandelfiguren an ihm vorbei und die toten Gebilde vor ihm wurden mitlebendig. Er lächelte traurig und begriff, daß er um etwas betrogen worden war, ohne daß er es hatte hindern können.
    Draußen war der Nebel dichter geworden. Agathon ließ sich stoßen und schieben, bis er in dunkle, unbelebte Gassen kam. Er ging eiliger und seine Gedanken wurden quälender. Unversehens stand er vor der Claußschule, wo sich nur die frömmsten der Juden zum Abendgebet versammelten. Ein Lächeln, dessen Bedeutung er selbst nicht begriff, glitt über seine Züge, und er trat in das düstere und niedrige Gemach. Der Vorbeter an seinem kleinen Pult lallte mit zitterigem Stimmchen das Schlußgebet. Nachdenklich blickte Agathon in die verbissenen, steinernen Gesichter, die voll waren von einer jahrhundertalten Grausamkeit, voll Haß, Erbitterung und zelotischem Glaubenseifer. Zum erstenmal in seinem Leben wurde ihm klar, daß Jude sein eine Ausnahme sein heiße; zum erstenmal hörte er die hebräischen Formeln mit Unsicherheit und Groll und er glaubte sich in einer verderblichen Abgeschiedenheit, wo Verschwörungen gestiftet werden.
    Als er auf die Straße trat, prallte er erschrocken zurück. Jener städtisch gekleidete Mensch, der in Sürich Sperlings Boot gesessen war, stand dicht vor ihm und schaute angestrengt gegen ein erleuchtetes Fenster hinauf. Die Gasse war sehr eng, daher mußte er den Kopf weit zurückbiegen. Indem er noch seitwärts gegen die Mauer schritt, stieß er plötzlich an den regungslos dastehenden Agathon, bat um Verzeihung und griff geschmeidig an den Hutrand.
    »Ach, Sie sind der junge Mann von gestern,« sagte er überrascht. »Sind Sie nicht gestern bei der Kahnpartie –« Er schmunzelte und die schwarzen Augen hinter den Gläsern leuchteten flüchtig, fast drohend auf. »Haben Sie vielleicht ein Streichholz bei sich?«
    In diesem Augenblick kam ein Arbeiter mit brennender Zigarre aus dem Tor. Der Schwarzbärtige bat ihn mit etwas übertriebener Höflichkeit um Feuer, dann ging er an Agathons Seite weiter. »Was

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