Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
Vom Netzwerk:
unterirdischen Quellen, vielgestaltig, mit Trübsand vermischt, nur selten Gold im Grunde führend, selten im geraden Strom, klar und kraftvoll rauschend.
    Plötzlich schallte von draußen das ängstliche und fortgesetzte Miauen einer Katze herein. Alle lauschten. Gudstikker und Agathon gingen hinaus.
    Der Mond stand hoch und rein am Himmel. Der Schnee blitzte und funkelte weit umher. Auf den Feldern lag der Rauhreif, schimmernd wie Silberstaub. Vor dem Tor lag ein Kätzchen in seinem Blut. Gudstikker kniete hin, streichelte das Tier zärtlich und redete ihm zu wie einem Kind. Dann gebärdete er sich wie rasend, drohte den Kerl zu erdrosseln, der diese Schandtat vollbracht und konnte sich kaum beruhigen. Agathon wollte ihn trösten, obwohl er etwas Gekünsteltes in diesem Zorn fühlte, als er einen Schatten gewahrte und Käthe neben sich sah. Sie hatte ein Tuch um den Kopf, ihre Lippen, deren Rot durch eine scharfe und runde Linie von der blassen Haut abgegrenzt war, waren ein wenig geöffnet. »Ist das Kätzchen tot?« fragte sie.
    Gudstikker nickte.
    »Wer hat es getan? Vielleicht der Vater, er stellt immer den Katzen nach.«
    »Dein Vater, sagst du!« fuhr Gudstikker auf. »Weißt du, daß es mir jetzt zu bunt wird? Weißt dus nicht? Ja, es wird mir zu bunt. Ich Hab euch auch satt, dich und deine ganze Familie.«
    Wieder fühlte Agathon das Künstliche des Wutausbruches und fragte sich vergeblich nach Gründen.
    »Stefan,« flüsterte Käthe und legte zitternd ihre beiden Hände um seinen Arm, »Stefan!«
    Es entstand eine peinliche Pause. »Es ist kalt, Herzchen«, erwiderte Gudstikker endlich und streichelte tröstend ihre Hand. »Geh nur und leg dich schlafen. Du wirst ja krank!«
    Als er heimging, hatte Agathon eine seltsame Sinnestäuschung. Aus einem dunklen Torweg trat Käthe Estrich auf ihn zu und hob flehend die Hände. Als er weiterging und sich die Erscheinung vor seinen Blicken in den Winternebel auflöste, dachte er mit hilfsbereitem Herzen an sie. Wie groß war sein Erstaunen und sein Schrecken, als er sie auf einmal wirklich sah! Raschen Schrittes kam sie und lächelte matt, als sie vor ihm stehen blieb. Sie wolle zu Stefan, sagte sie.
    »Was wollen Sie denn bei ihm?«
    »Ich weiß nicht. Ich will ihn nur sehen. Wenn ich noch einmal in sein Gesicht sehe, weiß ich alles.«
    »Was? Was denn?« Agathon erbebte vor Mitgefühl.
    »Ach, – nichts.«
    In diesem Augenblick ging viel vor in Agathons Seele. Er sah dieses zarte Geschöpf vor sich, wie sie in jeder Stunde mehr hinwelkte. Er sah die kleinen, mondlichtübergossenen Häuser, die dunkle Unendlichkeit des Nachthimmels, zage Sterne, glänzende Fensterscheiben, – dies alles im Gegensatz zu der wunderlichen Unruhe der Menschen, ihrer Lust an der Lüge, ihrer Furcht vor dem Kämpf, und zum erstenmal sprach heute die Natur ein unüberhörbares Wort zu ihm, und er konnte die gärende Inbrunst seiner Seele nicht mehr mißverstehen. Da stand nun dies stille, wortkarge Geschöpf vor ihm mit dem treuherzigen Blick, dem hilflosen Zucken um die Lippen und sie sah ihn ratlos an, als Agathon wie erleuchtet lächelte.
    »Sie sind immer so traurig, Fräulein Käthe,« sagte er.
    Sie nickte
    »Sie müssen sich einmal recht von Herzen freuen.«
    »Aber wie kann ich das,« erwiderte sie seufzend.
    »Nur einmal, eine Stunde lang, sollen Sie froh werden! Vertrauen Sie mir!«
    »Sie sind so merkwürdig, Agathon. Man muß Ihnen vertrauen, auch wenn man nicht will.«
    »Und Sie wollen tun, was ich verlange?«
    »Was verlangen Sie denn?«
    »In unserem Hof steht ein Schlitten. Da sollen Sie sich hineinsetzen. Ich fahre Sie.«
    »Jetzt? Um Gotteswillen, jetzt! Ich kann nicht. Meine Mutter läßt mich nicht fort.«
    »Ihrer Mutter dürfen Sie alles gestehen, wenn wir zurückkommen. Ich ziehe meine Schlittschuhe an und wir fahren bis zum See bei Weinzierlein.«
    »Bis zum See? Nein Agathon, das ist zu weit.«
    »Jetzt dürfen Sie nicht kleinlich und furchtsam sein. Ich hab' auch noch ein dickeres Tuch für Sie und einen Mantel meiner Mutter.«
    Käthe zögerte noch immer, aber Agathons Blick und Wesen, in dem etwas Triumphierendes und Flammendes lag, überredeten sie unwiderstehlich.
    Eine Viertelstunde später flog der Schlitten auf der Landstraße dahin und Agathon auf Stahlschuhen hinterher. Rechts lag der Wald, dann lag er links; das Mondlicht wohnte in ihm, die braunen Blatter glänzten silbern, die Birkenrinde strahlte wie Gold, der Schnee lag wie ein faltenloses

Weitere Kostenlose Bücher