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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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war ein eigentümlich schwüler Wind durch die Gassen gefahren; erschreckend schwarze Wolken waren herausgezogen und hatten sich im Norden getürmt, indes ihnen gegenüber ein Stück reinen Himmels lag, auf dem der klare Mond schwamm. Dann zuckten Blitze aus dieser Wolkenwand, deren beängstigendes Dunkel die Firste der Häuser seltsam bleich erscheinen ließ, leiser Donner rollte über die Dächer hin, allmählich anschwellend; die Blitze wurden fahler, zackiger, breiter, schneidender und tiefer, der Donner weniger schwerfällig, und das Februargewitter hatte sich drohend angesammelt, ohne daß in dem Tumult irgend jemand darauf geachtet hätte.
    Die Soldaten begannen erregte Massen von Männern und Weibern vor sich her zu treiben. Ein vor Haß wütender Haufe von Männern stellte sich gegen eine ganze Kompagnie; die Leute an den Fenstern stießen Angstrufe aus; Steine flogen unter die Soldaten, aufgestellte Messer, Glasscherben von eingedrückten Fenstern, ja ganze Holzklötze, bis endlich der Kommandant der Abteilung zum Angriff überging. Alles wandte sich zur Flucht; ein panischer Schrecken verbreitete sich; nur noch verzerrte Gesichter waren zu erblicken; die Weiber stürzten hin und waren vor Entsetzen gelähmt, die Männer nahmen Kinder unter den Arm und eilten davon wie gejagt. Aus den ferner liegenden Straßen kamen Zuschauer herbei und, mitergriffen von dem furchtbaren Schauspiel schrien sie so laut sie konnten, ergriffen nach dieser oder jener Seite hin Partei, folgten entflammt den immer noch tätlich vorgehenden Soldaten, wurden jedoch von der nachkommenden Reiterkolonne in die Seitenstraßen vertrieben. Währenddem floh der geängstigte Volkshaufen in immer größerer Verwirrung und gelangte auf den Lorenzerplatz, wo die Türen der Kirche weit offen standen. Aus dem Innern, wie aus einer dunklen Höhle schimmerte das glührote ewige Licht, und die von den Soldaten wie Hühner vorwärts getriebene Menge flüchtete sich in die Kirche, drängte sich unter heiseren Schreien hinein, zum Teil mit emporgehobenen Händen, als ob sie beten wollten, was jedoch nur deshalb geschah, weil das unbeschreibliche Gedränge sie dazu nötigte. Zornige Rufe erschallten aus dem seitab sich schiebenden Publikum; Polizisten und Gendarmen versuchten umsonst sich Bahn zu machen. Die Soldaten schienen wie trunken von blödsinniger Kampf- und Verfolgungsbegier und hörten die Befehle ihrer Vorgesetzten nicht mehr. Die ersten Reihen wollten eben durch das Tor des Domes eindringen, als eine Gestalt vor ihnen in Wahrheit förmlich aufwuchs. Die Soldaten blieben stehen. Sie sahen finster staunend in das Gesicht dieses Menschen.
    Es war Agathon.
    Wie eine Mauer stand er da.
    Auf einmal fuhr ein entsetzlicher Blitz herab, der den ganzen Himmel in Stücke zu zerreißen schien. Ein fürchterlicher Schlag folgte. Und darauf Totenstille. Plötzlich erschallte von draußen aus einer engen Nebengasse ein langgezogener Schrei. Mehrere Schreie folgten. Die Leute an den Fenster deuteten angstvoll in die Höhe und wandten die Blicke von dem Schauspiel auf der Gasse ab. Zugleich mit dem Blitz waren die elektrischen Bogenlampen an der Straßenkreuzung erloschen, so daß einen Augenblick lang eine drückende Dämmerung den Platz füllte, die durch den Wind auf- und abbewegt zu werden schien. Dann fiel eine schmale Feuergarbe aus der Höhe herab, ähnlich dem Aufflackern eines Strohfeuers, nur dunkler, purpurner, und zugleich wurde das Wächterhorn auf dem Henkerturm hörbar; die Menschen fingen an zu heulen, mit den Händen zu deuten, liefen dahin, dorthin, die Offiziere schrien, die Pferde der ausgerückten Eskadron begannen scheu zu werden. Eine grauenhafte Verwirrung entstand. Im Innern der Kirche hatte sich ein Knäuel von Menschen um den Altar gedrängt und starrte empor. Der Blitz war durch die Kirche gefahren und mehrere leblose Körper lagen auf den Steinfließen ausgestreckt. Das mystische Halbdunkel des Raumes begann allmählich einer satten Helligkeit zu weichen mit unruhigen, gespenstisch flackernden Schatten. Dabei blieben die bemalten Glasfenster dunkel, hinter ihnen lag graue Nacht, denn die Brandflut kam aus der Höhe. Viele zwängten sich mit Schreien und Rufen herein, riefen nach der Feuerwehr; dazu tönte schauerlich die Glocke vom brennenden Turm; es schien, daß der Glöckner, der keinen Ausweg sah, dessen Weg nach unten in Flammen stand, es schien, daß er mit der Anstrengung der Todesangst am Glockenstrang riß, während

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