Die Juden von Zirndorf
vor ihm, während er stand, seine Blicke in einen Spiegel geheftet hielt und über sein eigenes Gesicht erstaunt war. Jeanette blickte ihn forschend, überrascht, beinahe unterwürfig an.
»Wie geht es dir, Agathon!« fragte sie. »Was hast du getrieben? Großer Gott, wie siehst du aus! Wo kommst du her? Was hast du erlebt? Erzähle doch!«
Und Agathon erzählte. Er erzählte von sich und seinem Zigeunerleben und von dem Brand der Kirche so kühl und so gleichmütig, als ob er ein paar Seiten aus einer alten Chronik vorläse. Gerade dadurch vielleicht machte es auf Jeanette einen erschütternden Eindruck. Sie sah ihn an, ihre Augen flammten, ihr Antlitz wurde reiner und stiller. Als er fertig war, klagte er über Hunger und sie brachte ihm zu essen und zu trinken. Plötzlich erblaßte Agathon unter der Glut ihrer Blicke und ließ das Glas wieder sinken, das er an die Lippen führen wollte. Dies schien sie aufzurütteln. Sie lachte und erzählte von ihrem Leben in Paris; erzählte, daß sie in die Residenz gehen würde, weil der König sie zu sehen wünsche; daß sie inzwischen zu Ruf und Ruhm gekommen sei; erzählte Episoden, schien begeistert von dem heiteren, bunten Leben, das sie führte, das sich ihr täglich in neuen vergnüglichen Bissen darbot. Es war zuletzt, als ob sie phantasiere, so geriet sie in Hitze über das freudig Schäumende, Wohlschmeckende dieses Daseins. Dann ging sie plötzlich zum Klavier und begann zu spielen, leicht, duftig, aber auch leichtfertig, endigte mit Mißtönen, die klangen, als ob sich jemand auf die Tasten werfe, schlug krachend den Deckel zu und lachte mit ihrem knirschenden Lachen, nachdem sie sich auf dem Sessel umgedreht hatte. Plötzlich erschien sie wie eine abgehetzte Läuferin. Ihr Kopf war nach hinten gebeugt, ihre Lippen ein wenig geöffnet, die Adern des Halses klopften stürmisch, so lehnte sie gegen das mattglänzende Ebenholz des Klaviers, die Ellbogen nach rückwärts gestemmt und sah in die Höhe. »Bist du müd?« wandte sie sich zu Agathon. »Wenn du müd bist, kannst du in dein Zimmer gehen.« Sie schaute ihm fremd und befangen ins Gesicht. Agathon mußte aufstehen. Sein Herz wurde weit und weiter, hatte nicht Raum mehr.
»Ich liebe nämlich die Nacht,« sagte Jeanette. »So sitzt man da und denkt aller seiner Sünden. Liebst du nicht deine Sünden, Agathon?« Wieder traf ihn ein Blick, der gleichsam aus ihrer geöffneten und stammenden Seele zu kommen schien. »Weißt du, ich möchte dumm sein,« fuhr sie fort. »So dumm, daß ich nicht wüßte, wie man lügt; so dumm, daß ich Respekt vor den Männern hatte, so dumm, daß ich fromm wäre. Dann würde ich beten. Ich würde beten ... na, das ist gleich. Nun will ich tanzen. Setz' dich dort in die Ecke. So.«
Sie tanzte, indem sie leise dazu sang oder vielmehr summte. Sie tanzte mit schwermütigen Bewegungen, die an das Hingleiten eines Körpers auf ruhigem Wasserspiegel erinnerten. Aller Spott war aus ihrem Gesicht gewichen, die Augen waren halbgeschlossen, beschattet durch die langen, roten Wimpern, die Arme hatten das Kleid gefaßt. Agathon schaute hin und ihm war, als müsse das Blut aus ihrer Brust sickern bei dem schmerzlichen und düsteren Ringen ihres Körpers. Plötzlich, der Übergang war so grell wie der von der Dunkelheit zur Feuerhelle, reckte sie sich auf; ihr Gesicht erhielt ein frivoles Leben und nun tanzte sie den Goignade, einen altfranzösischen Tanz voll wollüstiger Extase. Agathon biß die Lippen zusammen, ihn schwindelte. Als sie fertig war, lächelte sie flüchtig, nickte und sagte kühl, Agathon solle in das Zimmer nebenan, wo er schlafen könne. Damit ging sie. Agathon wartete, aber sie kam nicht wieder. Er betrat das Nebenzimmer, ließ jedoch die Türe offen, damit er das Licht sehen konnte, legte sich in den Kleidern aufs Bett, faltete die Hände unter dem Hinterhaupt und verblieb so mit offenen Augen, bis der Morgen anbrach.
Dann erhob er sich und trat zum Fenster. Er war beunruhigt, und mit dem Wachsen des Tages nahm seine Unruhe zu. Er gefiel sich nicht in den kostbar ausgestatteten Räumen; es schien ihm, als sei seine Seele zusammengeschrumpft. Als Jeanette spät am Vormittag erschien, erstaunte er über die Veränderung an ihr. Sie war müde; die Haut ihrer Wangen war schlaff, der Blick hart, ihre Bewegung mühsam, ihre Worte kalt. Bisweilen brach die Erstarrung in einer heftigen Geste, in einem circenhaften Blick. »Hast du geschlafen?« fragte sie.
»Wessen Blut steckt
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