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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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rote und trübe Flammen, Rauch und Funken um ihn emporschlugen.
    Agathon stand totenbleich. Er streckte die Hände empor und von den mageren Armen glitt der Rockärmel zurück. Die am Altar gestanden, scharten sich bang um ihn, und jetzt kamen drohende oder warnende Stimmen, die Zurück und Hinaus riefen, auch hörte man das Gerassel der auffahrenden Spritzen, während die Glocke im Turm rasend wurde und lauter hell gellende Hilfeschreie von sich gab. Agathon blickte in das versteinerte Gesicht eines der Leblosen unter ihm und der Kampf der vergangenen Wochen wurde ihm in diesem Augenblick leuchtend gegenwärtig. Wie er in Winkeln und Verstecken die Nächte hingebracht; wie er einsam auf den Landstraßen geirrt, trank- und speiselos; wie er die stürmischen Tage an sich hatte vorbeisausen lassen; wie trotzdem mit unbezähmbarer Kraft seine Liebe zum Leben gewachsen war; wie seine Vergangenheit stimmenlos versunken war, ein Nichts; wie sein Auge schärfer wurde für die Zeit und für die Menschen; wie er überall Geducktheit und Unfrohheit gewahrte, Unoffenheit, Duckmäuserei, geheime Empörungslust. Und je einsamer er ward da draußen, je feuriger wurden seine Phantasien von einer gewaltsamen Wandlung, und er dachte, daß nicht nur das Alte stürzen müsse, damit das Neue komme, sondern daß es gestürzt werden müsse. Er dachte, daß die Städte zerstört, niedergerissen werden, verlassen werden müßten, damit der Mensch wieder sich selbst finde. Er schwelgte in glühenden Traumen, sein jugendlicher Geist saugte sich fest an den Brüsten des Lebens. Und wie er sich Herr über die Kräfte der Natur fühlte, empfand er auch Macht über die Menschen. Er dachte, als er jetzt eine bebende Menge sich um ihn drängen sah, daran, wie die Kinder aus den Dörfern ihm gefolgt, als wären sie durch einen Zauberruf angelockt, wie ihm die Bauern Essen und Trank gegeben, ohne daß er darum gebeten. So, voll von sich selbst, berührte er mit der Hand den Körper eines der vom Blitz Hingestreckten, während die Kommandorufe der Feuerwehrleute erschallten, das Militär dem Zudrang Neugieriger Einhalt tat, das Dach eines benachbarten Hauses vom Feuer ergriffen wurde, die Glocke des Turmes schwächer, gleichsam hinsterbend erschallte, die Dämmerung in der Kirche einer hellen Brunst wich und ein junger Priester in die Flammen stürzte, die auf den Altar herabgefallen waren, um das Allerheiligste zu retten. In diesem Moment bewegte der leblos Daliegende die Hand; Agathon, selbst bestürzt, wich zurück, Rufe wurden laut, die Kirche müsse geräumt werden. Gebrause und Zischen der Spritzen erschallte; da stieg Agathon auf eine Bank und gellte hinaus in den Raum mit einer Stimme, als ob es gälte, über den ganzen Erdkreis hinzuschreien:
    »Laßt sie brennen, die Kirche!«
    Er sah viele Gesichter unter sich verzerrt und lauernd zu ihm aufblicken, elende, sorgenvolle Stirnen, Munde mit kriechendem, fast flehentlichem Ausdruck, sogar Kinder, deren kranke Glieder er zu empfinden glaubte, und es war, als könne er durch das ganze Elend der Welt hindurchblicken, den verknoteten Knäuel des Daseins entwirren und er schrie noch einmal: »Laßt sie brennen, die Kirche!« Er hatte das Gefühl, als schauten alle Menschen sterbend nach ihm, und er dünkte sich wie der Vater eines neuen, freien, Gott-losen Geschlechts. Der fanatische Priester stürzte auf ihn zu und wollte ihn herunterreißen; seine fahlen Wangen zitterten vor Zier, aber die Menge schützte Agathon. Die Gefahr nahm zu; Agathon riß eine brennende Leiste vom Altar, hielt sie hoch wie eine Fackel und wandte sich dem Tore zu, gefolgt und umringt von einem erregten Schwarm.
    Die Glocke hatte aufgehört zu läuten.

Fünfzehntes Kapitel

    Agathon verschwand bald unter der Menge. Obwohl viele ihm nachstürzten, obwohl ein Offizier mit dem Säbel nach ihm deutete und ein berittener Gendarm das Pferd nach ihm lenkte, verlor er sich in fernere Gassen und war in Sicherheit. Sinnend ging er weiter, den Blick ins Unbestimmte geheftet, wie von einem Räderwerk fortbewegt, durch Gassen, die er nicht kannte, die leer waren, in denen die Schritte hallten, an Häusern vorbei, die zu zucken schienen, sich zu besinnen schienen, ob sie ihm den Weg versperren sollten. Der Himmel war licht geworden; flimmerlose Sterne waren angeheftet wie Perlen, die Milchstraße war wie der Rauch aus einem Bäckerschlot, die Bäume der Alleen standen wie Lanzen am Weg, erleuchtete Fenster im Weiten waren wie große

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