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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Unerreichbares mehr gab im Reich der Träume. Welcher Zufall hatte es ihm geschenkt, das edle Geheimnis? Ein langsam glühender Kohlenhaufen, eine harmlose Tinktur, – bedeuteten sie mehr als ein Leben der Einsamkeit und des Nachdenkens?
    Baldewin Estrich sank zusammen und weinte. Dann hielt es ihn nicht länger in dem öden Haus. Er nahm Hut und Mantel und stürzte fort. Schon war er durch viele Gassen geeilt, als er innehielt, die Hand an die Stirn legte, zurückkehrte, die eiserne Truhe aufschloß und alles, was er noch an barem Geld besaß, in Gold und in Banknoten, zu sich steckte. Damit eilte er den Stadtteilen des Elends zu, den Herbergen für Handwerksburschen, den dachlosen Nachtquartieren im Norden. Und keine Stunde war verstrichen, als er zurückkehrte, – nicht allein. Eine Armee schreiender Männer und Frauen waren um ihn und hinter ihm, verkommene Gestalten, die den Tod auf den Wangen trugen oder das Verbrechen auf der Stirn, Gesellen in Lumpen, barfuß, mit bloßer Brust, keifende Weiber aller Lebensalter und aller Abstufungen des Lasters, Kinder mit den frühblassen Wangen der Not, – und diese entfesselte Schar schwoll und schwoll. Wo Baldewin Estrich die ersten aufgetrieben hatte, wußte er nicht, denn er handelte in einer Trunkenheit, die nach Taten verlangte. Er hatte Gold, Gold unter sie verteilt, immer mehr, und die Kunde davon eilte wie ein Lauffeuer von Straße zu Straße, so daß der Haufen zuletzt die ganze Breitegasse ausfüllte. In den Häusern wurden die Fenster aufgerissen, und lachende oder furchtsame Menschen schauten herab; die Polizei erschien in den Nebengassen und schickte sich an, das Militär zu alarmieren, aber das Ungestüm des Pöbels stieg ums hundertfache und war durch nichts mehr zu ersticken.
    Am weißen Turm tauchte eine Abteilung des Reiterregiments mit blankgezogenen Säbeln auf, aber eher hätte sie eine Felsenmauer durchbrechen können als die dichtgestaute Volksmenge, die Kopf an Kopf stand, über die es hinwogte von Schreien und Zurufen und Hilferufen und Anfeuerungen und heiseren Lauten der Begierde. Alle drängten nach oben, wo Baldewin Estrich totenbleich in einem engen Kreis finsterer Burschen stand, die ihm näher und näher rückten, tobsüchtig gemacht durch den Geruch des Goldes. Mit den wildesten Drohungen drangen sie auf den Greis ein, der kein Glied zu rühren vermochte. Es war, als könne er nicht glauben, was um ihn her vorging. Ihm war, als seien es fürchterliche Traumbilder, diese von den scheußlichsten Trieben bewegte Masse, die um ihn wogte, ihn haßerfüllt anstierte, den kleinen Kreis um ihn verengerte und verengerte, als ob sie ihn erdrücken und ersticken wollte, die nach Geld schrie und heulte, nach Geld und nach sonst nichts. Ein stürmischer und geheimnisvoller Schmerz erfüllte seine Brust, und er erschien sich wie ins große Meer verschlagen, schiffbrüchig, dem Tod geweiht. Da nahm er sämtliche Banknoten in seiner Tasche mit einer leidenschaftlich verächtlichen Bewegung und schleuderte sie fort, hinein in das brodelnde Meer, den ausgestreckten Händen, den funkelnden Augen entgegen. Wahnsinnige Schreie erschallten, er fühlte sich fortgerissen wie in einem Strudel, dahingeschleudert, dorthingeschleudert, fühlte Stoß auf Stoß an seiner Brust, sah hundert Arme hoffnungslos ausgestreckt, und wieder andre, die mehr Geld wollten, mehr, da schwanden ihm die Sinne. Er erhielt einen schrecklichen Schlag an die Stirn, sank hin, wurde mit Füßen getreten, fühlte Blut an sich herabströmen, und doch schlossen sich seine Augen nicht, als wolle seine Seele gewaltsam wach bleiben und alles sehend erdulden.
    Und der Strom, der nun einmal in Bewegung geraten war, wälzte sich weiter. Diejenigen, die Gold erhalten hatten, waren noch unersättlicher, als die andern. Ihr Geist befand sich in Raserei, und diese Raserei war ansteckend. Viele zertrümmerten die Fensterscheiben der Bürgerhäuser, Steine flogen in die Stockwerke hinauf; die Weiber benutzten ihre Schuhe als Wurfgeschosse. Die Rufe: Blut! Rache! Tod! Nieder! donnerten oder kreischten durch die Luft. Die Verkaufsläden wurden eingeschlagen und mit dem Schrei: nieder die Juden! erstürmten entfesselte Scharen die verschlossenen Räume, demolierten Tische, Fenster, Verkaufsgegenstände und manche reizten zu Brandlegung und Plünderung. An vielen Punkten gelang es dem Militär durchzudringen; einzelne Schüsse wurden abgefeuert, denen höhnisches Gebrüll folgte.
    Während dieser Vorgänge

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