Die Juedin von Toledo
Bruder Alazar, sein königliches Erbteil verraten und vertan. Dein Vater ist nicht ohne Schuld an dem Furchtbaren. Es ist schwere Schuld, ich bereue sie, und ob auch Gottes Gnade tief ist wie das Meer, ich fühle mich nicht entsühnt.« Es war aber das erstemal, daß der Vater ihr von Schuld, Reue und Sühne sprach, und Raquel war gewürgt von Mitleid. Er habe denn auch, fuhr Jehuda fort, Buße auf sich genommen, keine leichte Buße, und er erzählte ihr von seinem Plan, die fränkischen Juden in Kastilien anzusiedeln.
Raquel hörte aufmerksam zu, aber sie antwortete nicht und fragte auch nicht. So sprach denn, nicht ohne Überwindung, er weiter. »Ich habe«, sagte er, »dem König Unserm Herrn meinen Plan vorgetragen, er hat nicht nein gesagt und nicht ja. Und ich habe ein Gelübde getan, und die Zeit drängt.«
Es war, seitdem sie in der Galiana lebte, das erstemal, daß er von Alfonso sprach, und es traf Raquel wie ein Schlag, daß er ihn den König Unsern Herrn nannte. Alles, was der Vatersagte, brach über sie herein wie eiskaltes Wasser, erschreckend, aufrührend. Sie spürte die Mahnung, sie wehrte sich dagegen. Es war nicht recht von ihm, ihr aufzuladen, was zu tragen er übernommen hatte.
Er sprach nicht weiter, er drang nicht in sie. Er ließ Licht bringen, und das Besondere, Unheimliche verschwand. Er sah ihr Antlitz in dem sanften Schein der Kerzen und Öllampen. Er sagte, und zum erstenmal an diesem Tage lächelte er: »Du bist in Wahrheit eine Prinzessin aus dem Hause David, mein Kind.«
Bevor Raquel, des Morgens, in die Galiana zurückkehrte, sagte sie zu ihrem Vater: »Ich werde mit dem König Unserm Herrn über die fränkischen Juden sprechen.«
Als Raquel dem König erklärt hatte, sie werde das Neujahrsfest im Castillo Ibn Esra verbringen, hatte er seinen tiefen Unmut nicht laut werden lassen. Er blieb die Tage über in der Galiana. Es schien ihm unerträglich, in Toledo zu sein, Raquel nahe und grenzenlos fern. Er war zornig auf Raquel, auf Jehuda, auf Jehudas Gott und seine Feste.
Es waren wunderbare helle Herbsttage, aber er hatte keine Freude an ihnen. Er jagte, aber hatte keine Freude an der Jagd und an seinen Hunden. Vor ihm stand finster und prächtig der Umriß seiner Stadt Toledo, er hatte keine Freude an dem Anblick. Er hatte keine Freude an dem Fluß Tajo und keine an dem Gespräch mit seinem Untertan Belardo. Er dachte an das, was ihm Raquel über ihr Neujahrsfest erzählt hatte, und wie sie nun wohl zu ihrem Gott betete und winselte, daß er ihr das Verbrechen verzeihe, Lust und Liebe mit ihrem König geteilt zu haben.
Sie kam zurück, und aller böse Druck fiel von ihm ab. Allein bald, obwohl auch sie des Wiedersehens innig froh schien, mußte er merken, daß eine andere Raquel zurückgekommen war; es lag jetzt über ihrem Gesicht eine sonderbare, nachdenkliche Befriedigung. Er konnte sich nicht enthalten, freundlich hämisch zu fragen, ob sie, wie sie’s vorgehabt, dieRechnung mit ihrem Gott beglichen habe. Sie schien ihm den Hohn nicht zu verdenken, vielleicht bemerkte sie ihn nicht, sie schaute ihn nur stumm an, versunken in sich selber. Ihr Schweigen brachte ihn mehr auf als jede Widerrede. Er durfte es nicht wagen, zu beichten, kein Priester könnte ihm Absolution erteilen; sie indes hatte sich mit ihrem Gotte ausgesöhnt. Er besann sich, was er ihr Böses, Kränkendes sagen könnte.
Da, unerwartet, hub sie zu sprechen an. Ja, sagte sie mit seltsam ernster Leichtigkeit, jetzt hätten die erhabenen Tage begonnen, da sich der Sünder, der in Wahrheit Buße tue, retten könne. Denn am Tage des Gedenkens, am Neujahrstage, schreibe zwar Gott das Urteil ein, aber erst zehn Tage später, am Versöhnungstag, drücke er das Siegel auf, und Gebet und gute Werke und wahre Einkehr hätten Kraft, das Urteil zu wenden. Und mit plötzlichem Entschluß fuhr sie fort: »Wenn du’s nur willst, mein Alfonso, dann könntest du mir helfen, volle Gnade in den Augen Gottes zu finden. Du weißt von der Not meines Volkes in Francien. Willst du nicht diesen meinen Brüdern die Grenzen öffnen?«
Eine Welle Wut schlug über Alfonso zusammen. Das also war die Buße, die ihre Priester ihr auferlegt hatten. Sie sollte ihn dahin kriegen, mitten im Heiligen Krieg sein Land mit Ungläubigen zu überschwemmen, sie sollte ihn mit seinem Volk und seinem Gott entzweien: dafür gewährte dann ihr Adonai ihr die Versöhnung. Es war eine Verschwörung zwischen ihr, ihrem Vater und ihren Priestern. Es war
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