Die Juedin von Toledo
große Herrn und Knechte klein
Todwund zur Erde fallen.
Die Pferde wiehern reiterleer.
Getroffne schrein: Aidatz! Hilf! Her!
Von allen Seiten übers Feld
Das herrlich wilde Schreien gellt,
Geschrei des Siegs, Geschrei der Not.
Das grüne Gras ist rot von Tod.
Ein Leichenhauf die Erde deckt,
Und in so mancher Brust noch steckt,
Dieweil der Leib weit offen klafft,
Bewimpelt bunt der Lanzenschaft.«
>Hingerissen hörten die Versammelten zu. A lor! Aidatz! Schlagt drauf! Hilf! Her! Die ganze alte Burg klang wider von der blutigen Begeisterung des Ritters Bertran, von der Lust des Tötens.
Mehr noch als die andern schätzte und schmeckte der Domherr Don Rodrigue die federnde Kraft der klingenden provençalischen Verse. Aber nicht Enthusiasmus erregten sie ihm, sie erregten ihm Schauder. Mit Entsetzen sah er das Gesicht des Königs, den er liebte wie einen Sohn. Ja, »vultu vivax« war Don Alfonso, da hatte Rodrigue die rechten Worte gefunden: das Gesicht spiegelte die Seele erschreckend treu wider. Was es aber jetzt spiegelte, das war schiere Lust am Dreinhaun, am Zerstören, jener Jezer Hara, der böse Trieb, von dem Musa immer wieder redete.
Don Rodrigue schloß die Augen; er konnte die Gesichter dieser Ritter und Damen nicht länger sehen. Bestürzt erkannte er: er hätte seinen Alfonso lieber noch Monate und Jahre hindurch in der sündigen Gemeinschaft der verstockten Jüdin gesehen als in der fromm und blutig begeisterten Verbundenheit mit den Kriegern Gottes.
Der Domherr hatte im Gefolge des Königs nach Toledo zurückreisen wollen. Er hatte sich vorgenommen, auf dieser Reise endlich seine Pflicht zu tun, den König zu mahnen. Jetzt gab er’s auf.
Noch in der gleichen Nacht, in Hast, machte er sich auf den Weg und ritt zurück nach Toledo, noch tiefer bedrückt, als er gekommen war, schuldhaft infectis rebus, unverrichteterdinge.
Drittes Kapitel
Seitdem Don Jehuda Ibn Esra Nachricht vom Tode König Heinrichs erhalten hatte, wußte er: nun wird binnen Wochen, vielleicht binnen Tagen der große Krieg mit den Moslems ausbrechen, den zu verhindern er Sevilla und sein altesLeben aufgegeben hatte. Jetzt rollte das ungeheure Rad heran, unaufhaltsam. Der Kalif wird seine Heere ins Andalús führen, Niederlagen Alfonsos waren unausbleiblich, und die Bürger Toledos werden die Schuld daran nicht dem König, sie werden sie ihm, Jehuda, und den Juden zuschreiben. Was er als Knabe in Sevilla hat mitansehen müssen, wird sich hier wiederholen. Und die volle Wut Edoms wird die sechstausend fränkischen Flüchtlinge treffen, die er ins Land gezogen hat. Wie hatte er triumphiert, als er das Privileg für sie erlistete; wie ein Oker Harim, ein Mann, der Berge versetzen kann, war er sich vorgekommen. Und nun werden seine Siedler hier Schlimmeres erleiden, als sie es je in Deutschland hätten erdulden müssen. Auf sich gerichtet sah er die frommen, besessenen, verachtungsvollen Augen des Rabbi Tobia.
Meldungen aus Engelland mehrten seine Angst. Anläßlich der Krönung Richards hatte auch eine jüdische Delegation unter Führung des Aaron von Lincoln und des Baruch von York dem König im Dome von Westminster Geschenke überreichen und ihn um Bestätigung der alten Privilegien bitten wollen. Es war aber den Juden der Einlaß in die Kirche verwehrt worden, und das Gerücht hatte sich verbreitet, der König gebe ihr Leben und ihre Habe dem guten Volk von London preis. Geführt von Kreuzfahrern, hatte die Menge die Häuser der Juden geplündert, sie mißhandelt, viele in die Kirchen geschleppt, sie zu taufen, und solche, die widerstrebten, getötet. Ähnliches war in Norwich geschehen, in Lynn und Stamford, in Lincoln und York. Aaron von Lincoln war es geglückt, heil aus London zu fliehen, doch nur um bei den Unruhen in Lincoln umzukommen. Baruch von York hatte sich der Taufe gefügt. Den Tag darauf hatte König Richard ihn gefragt, ob er denn nun auch im Herzen Christ sei. Baruch hatte erwidert, er habe nur sein Leben retten wollen, im Herzen sei er Jude geblieben. »Was fangen wir mit dem Manne an?« hatte Richard den Erzbischof von Canterbury gefragt. »Wenn er Gott nicht dienen will«, hatte mürrisch der Prälat geantwortet, »mag er in Gottes Namen im Dienst des Teufels bleiben.«So war denn Baruch als Jude nach York zurückgekehrt; dort war er mitsamt seiner Familie erschlagen worden.
Wenn sich, erwog Jehuda, solche Dinge in dem vernünftigen Engelland hatten ereignen können, was wird, wenn das Volk nach einer
Weitere Kostenlose Bücher