Die Juedin von Toledo
seine Schuldlosigkeit, sein unerhörtes Unglück, einen sehr nahen Menschen, einen, der zu ihm gehörte.
Ohne Jehuda abzuwarten, mit kleinstem Gefolge, ritt er nach Burgos, zu seiner Königin, zu Doña Leonor.
Viertes Kapitel
Doña Leonor empfing den König mit Freuden. Ohne daß er ihr die Geschehnisse hätte erklären müssen, verstand sie ihn. Sie fühlte wie er. Alles war böse Schickung, ihren Alfonso traf keine Schuld.
Dabei drückte es sie noch schwerer als ihn, daß Krieg mit Aragon bevorstand. Sie hatte von einer Vereinigung der beiden Länder geträumt, und dieser Krieg zerstörte alle ihreHoffnungen. Aber sie verbarg ihre Niedergeschlagenheit, sie war gelassen wie immer. Alfonso fand in ihrer Gegenwart und in ihrem Gespräch Trost und Stärkung, wie er sich’s erhofft hatte.
Gemeinhin bevorzugte er Toledo vor Burgos. In Toledo hatte er, noch ein Knabe, seine erste große Tat getan, von hier aus hatte er sein Reich erobert; auch war Toledo nahe dem echten, ewigen Feind, den Moslems, und in solche Nähe des Feindes gehörte er, der König, der Soldat. Dieses Mal aber war er gerne in der alten, urchristlichen Stadt Burgos, und die Erinnerungen, deren sie voll war, gaben ihm Kraft und Zuversicht. Nach dem Castillo dieser Stadt Burgos hieß sein Kastilien, von hier aus hatte sein Ahnherr Fernán González die Grafschaft Kastilien unabhängig gemacht, groß und mächtig. Und hier in Burgos hatte sein Urgroßvater, der Sechste Alfonso, gezeigt, daß ein König auch vor dem größten Manne Spaniens nicht zurückwich. Jener Alfonso hatte den tapfersten Helden des Landes, den Cid Compeador, da er mit seiner Kriegführung unzufrieden war, der Stadt verwiesen; ein König von Kastilien verzieh keinen Ungehorsam, verzieh ihn keinem Cid, geschweige denn einem Castro.
Nun aber war der Cid Compeador tot, die Könige hatten Hispaniens edelstem Ritter und Kämpfer längst vergeben, und die Stadt Burgos war stolz auf ihre vielen Andenken an den Helden. Grimmig amüsiert verweilte Don Alfonso vor einer gewissen Truhe, die in der Kirche des Klosters Huëlga aufgehängt war. Diese Kiste hatte der Cid zwei jüdischen Geldleuten als Pfand gegeben; angeblich war sie voll mit reichen Schätzen. Dann aber erwies sich, daß nichts darin war als Sand; der Held hielt dafür, daß sein Wort genüge. So hatte der Cid mit seiner Kiste ein anschauliches Beispiel aufgestellt, wie ein Ritter mit krämerischen Juden verfahren sollte.
Don Raimundez von Aragon zeigte keine Eile, den Feldzug zu beginnen; er hatte von jeher als Zauderer gegolten. Den König Alfonso aber quälte das Warten, und er sprach Doña Leonor davon, als erster zuzuschlagen.
Da indes schwieg Doña Leonor nicht länger. In klaren Worten hielt sie ihm vor, daß das Land ihm die Niederlage von Sevilla nicht vergessen habe. Man werde sogar, wenn er der Überfallene sei, gegen einen neuen Krieg murren. Unter solchen Umständen anzugreifen und sich ins Unrecht zu setzen, wäre Wahnsinn. Don Alfonso ließ sich die herben Worte gefallen.
Dann, endlich, traf Jehuda in Burgos ein. Er hatte die Nachricht vom Tode des Fernán de Castro sofort in ihrer ganzen Schwere erfaßt. In verzweifeltem Unmut schob er sich selber alle Schuld zu. Seine Berechnung war falsch gewesen. Er hätte in Toledo bleiben und den König zurückhalten müssen. Seine Intuition hatte ihn im Stich gelassen.
Der tatkräftige Mann gab trotz allem die Hoffnung nicht auf, den Krieg zu verhindern. Machte sich sogleich auf den Weg nach Toledo. Erfuhr, daß Alfonso in Burgos war. Kehrte um, ritt nach Burgos.
Meldete sich bei Don Alfonso. Der, unter allerlei Vorwänden, empfing ihn nicht. Wohl aber schickte Doña Leonor nach ihm.
Jehuda, im Anblick der klugen Frau, faßte neuen Mut. »Wenn deine Majestät es erlaubt«, schlug er vor, »reise ich nach Saragossa und versuche, den König zu sänftigen. Er hat mir, als ich jetzt in seinem Feldlager war, ein freundlich williges Ohr geliehen.« – »Seither haben sich die Dinge geändert«, sagte Doña Leonor. Don Jehuda antwortete vorsichtig: »Ich dürfte freilich nicht mit leeren Händen kommen.« – »Was gäbe es, das du bringen könntest?« fragte Leonor. »Es wäre denkbar«, meinte noch behutsamer Jehuda, »daß Don Alfonso auf jene strittige Lehenshoheit Kastiliens verzichtet.« – »Die Lehenshoheit Kastiliens ist nicht strittig«, sagte kalt Doña Leonor, und: »Lieber den Krieg!« erklärte sie und maß Jehuda so fremden, verächtlichen Blickes, daß
Weitere Kostenlose Bücher