Die Juedin von Toledo
Toledo liegt gesichert. Ichkonnte dir also La Galiana ohne Gefahr wieder aufbauen.« Ganz leise lächelte Raquel. Er hätte ihr nicht erst zu sagen brauchen, was für ein Held, Ritter und großer König er war; jedermann wußte es.
Alfonso ließ sich von Raquel die Spruchbänder an den Wänden erklären; mehrmals waren altertümliche, kufische Buchstaben verwandt, Raquel las sie ohne Mühe. Sie erzählte ihm, wie sie schreiben und lesen gelernt hatte. Einfache Koranverse zuerst und die neunundneunzig Namen Allahs, in der üblichen neuen, der Neschi-Schrift, dann später hatte sie die alte kufische Schrift gelernt, und zuletzt, von Onkel Musa, die hebräische. Alfonso verzieh ihr das viele überflüssige Wissen, weil sie Raquel war.
Unter den Sprüchen an der Wand war jener uralte arabische, den Onkel Musa so liebte: »Ein Federgewicht Frieden ist besser als ein Eisengewicht Sieg.« Sie las ihm den Spruch; voll, dunkel und groß kamen die seltsamen Worte von ihren kindlichen Lippen. Da er nicht verstand, übersetzte sie ins geläufigere Latein: »Eine Unze Frieden ist mehr wert als eine Tonne Sieg.« – »Das ist Unsinn«, erklärte Alfonso herrisch. »Das ist was für Bauern und Bürger, nicht für Ritter.« Da er aber Raquel nicht verletzen wollte, begütigte er: »Im Munde einer Dame mag es angehen.«
»Ich habe auch einmal einen Lehrspruch gedichtet«, erzählte er später. »Das war, als ich Alarcos nahm. Ich hatte den Gebirgskamm südlich des Nahr el Abiad besetzt und durch eine starke Wache gesichert, die ich einem gewissen Diego unterstellte, einem Lehensmann meiner Barone de Haro. Der Mann ließ seinen Posten überrumpeln, fast hätte mich das Alarcos gekostet. Er hatte geschlafen, dieser Diego. Ich ließ ihn binden, verwahrte ihn am Pflock eines Zeltes. Dann dichtete ich meinen Lehrspruch. Laß sehen, ob ich ihn noch zusammenbringe. ›Wachen muß, wer haben will des Feindes Haupt und des Feindes Schild. Der Wolf, der schläft, der tut keinen Fang. Der Mann, der schläft, der siegt keinen Sieg.‹ Das ließ ich in sehr großen Buchstaben aufschreiben, und derDiego mußte es lesen am ersten Morgen, und am zweiten, und am dritten. Erst dann ließ ich die Augen ausstechen, die nichts gesehen hatten. Dann nahm ich Alarcos.«
Raquel blieb einsilbig an diesem Tage.
Die heißen Stunden verbrachte Raquel gewöhnlich in der stillen Dunkelheit ihres Zimmers, dessen wassergetränkter Filzbelag Kühlung schuf. Don Alfonso legte sich dann wohl im Park in den Schatten eines Baumes, gern in der Nähe des Gärtners Belardo, der auch in der heißen Zeit fleißig war oder doch so tat. Das erstemal hatte sich Belardo fortmachen wollen, doch Alfonso rief ihn heran, er liebte es, mit den Unteren zu sprechen. Er sprach ihre Sprache, er sprach sie in ihrem Tonfall, so daß sie ihm vertrauten und ihm bei aller Ehrerbietung die Wahrheit sagten. Das runde, fette, schlaue Gesicht des Belardo und seine biedere, verschmitzte Art machten dem König Spaß. Er winkte ihn oft heran und unterhielt sich mit ihm.
Belardo hatte eine angenehme Stimme, Alfonso ließ sich von ihm vorsingen, am liebsten Romanzen. Da war etwa die Romanze von der Dame Florinda, auch genannt La Cava. Florinda, hieß es da, und ihre Fräulein, sich unbeobachtet glaubend, entblößten ihre zarten Beine und maßen deren Umfang mittels eines gelben Seidenbandes. Und die weißesten und schönsten Beine hatte Florinda. Verborgen aber hinterm Vorhang eines Fensters schaute König Rodrigo dem Spiele zu, und heimliches Feuer verbrannte ihm das Herz. Er rief Florinda zu sich und sagte: »Florinda, Blühende, ich bin blind und krank vor Liebe. Heile mein Übel, und ich dank es dir mit meinem Zepter und mit meiner Krone.« Es heißt, daß sie zuerst nicht antwortete, ja, daß sie gekränkt war. Aber am Ende geschah es, wie er es wollte, und Florinda, die Blühende, verlor ihre Blüte. Bald hatte der König seine böse Lust zu büßen, und mit ihm das ganze Hispanien. Und wenn man fragt: wer von den beiden war der Schuldigere? dann sagen die Männer: Florinda, und die Frauen sagen: Rodrigo.
So sang der Gärtner Belardo, und Alfonso hörte zu, undfür einen Augenblick argwöhnte er, der Mann habe ihn mit frecher Absicht an das Schicksal dieses Rodrigo, des letzten Gotenkönigs, gemahnt. Denn der Vater der verführten Florinda, Graf Julian, hatte sich, wie andere Romanzen erzählen, mit den Arabern verbündet, um sich an König Rodrigo zu rächen, er hatte die Araber nach
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