Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Juliette Society: Roman (German Edition)

Die Juliette Society: Roman (German Edition)

Titel: Die Juliette Society: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasha Grey
Vom Netzwerk:
stelle mir einen dieser ganz alten Schwarz-Weiß-Filme vor, in dem sich in einem Geisterhaus eine Tür einen Spaltbreit öffnet, und dahinter ist niemand, bloß pechschwarze Dunkelheit.
    »Das ist mein Stichwort. Dann muss ich in den Schrank steigen«, sagt sie. »Und jedes Mals schlägt mein Herz wie wild, obwohl ich genau weiß, was als nächstes passieren wird und wer hinter der Tür wartet.«
    Anna betritt den Wandschrank und schließt die Tür hinter sich. Jetzt kann sie nichts mehr sehen, weil Marcus in der Zwischenzeit die Löcher mit Taschentüchern verstopft hat, damit kein Licht mehr von außen eindringen kann.
    »Meine Augen brauchen eine Weile, bis sie sich daran gewöhnt haben«, erklärt sie. »Aber auch dann kann ich bloß Schatten erkennen, die sich wie Rauchschwaden bewegen. Fast wie eine Halluzination.«
    »Wie groß ist der Schrank? Kriegst du da keine Platzangst?«
    »Groß genug, dass ich nirgendwo anstoße«, sagt sie. »Es ist beängstigend, wie schnell ich da drinnen das Gefühl für Raum und Zeit verliere. Und es ist total heiß, so eine dampfige, trockene Hitze wie in einem türkischen Bad, weil Marcus schon fast den ganzen Sauerstoff verbraucht hat. Ich fange immer an zu schwitzen, sobald ich den Schrank betrete.«
    »Was passiert dann?«, frage ich ungeduldig.
    »Dann spüre ich seine kalte, feuchte Hand auf meinem Busen. Jetzt denkst du sicher, dass sich das irgendwie unheimlich anfühlen muss«, sagt sie, »aber es törnt mich an. Sogar richtig. Von jemandem angefasst zu werden, den ich nicht sehen kann, in einem engen, geschlossenen Raum – dafür lohnt sich der ganze andere Kram«, meint sie, »die ganze nervige Einleitung, auf die Marcus so viel Wert legt und an die wir uns buchstabengetreu halten müssen. Und außerdem ist es ja so«, sagt sie, »wenn wir erst mal in diesem dunklen Schrank sind und es zum körperlichen Kontakt kommt, gibt es keine Regeln mehr. Dann ist er gar nicht mehr schüchtern. Marcus kann ficken wie ein Wahnsinniger, wie ein Tier, wie eine völlig andere Person … Da wackelt der ganze Schrank.« Sie lacht.
    »Aber was kann man in einem engen Schrank schon groß machen?«, wundere ich mich laut.
    »Du würdest dich wundern«, sagt Anna. »Wir haben das ganze Kamasutra bestimmt schon fünf- oder sechsmal durch. Einmal hat er mich so heftig durchgevögelt, dass der Schrank umgekippt ist. Auf die Tür. Wir saßen fest. Aber Marcus war’s egal. Das hat ihn bloß noch schärfer gemacht. Wir haben stundenlang gefickt. Dann hat er die hintere Wand herausgeschlagen, und wir sind rausgekrochen, nackt und voller blauer Flecken.«
    Wenn sie aus dem Schrank herauskommen, muss Anna noch eine letzte Pflicht erledigen. Sie muss ihn waschen. Also gehen sie ins Bad.
    Anna meint, es ist ein richtig altes Bad mit Fliesenboden. Die Farbe löst sich schon von den Wänden. Und Marcus hat so eine altmodische Badewanne, die wie ein kleines Rettungsboot aussieht, mit einem Duschkopf an einem Stahlrohr darüber.
    »Marcus duscht immer, er nimmt nie ein Bad«, sagt Anna.
    »Warum?«, frage ich.
    »Er hat gemeint, dass man in der Wanne leicht ertrinken kann.«
    Ich gehe nicht weiter darauf ein, aber ich frage mich, ob Anna weiß, dass er da aus John Cassavetes’ Film Gesichter zitiert hat.
    Unter der Dusche seift Anna Marcus ein, schrubbt ihm ordentlich den Rücken, den Brustkorb, die Oberschenkel, unter den Armen und hinter den Eiern. Sie trocknet ihn ab, und dann verlässt er ohne ein Wort das Badezimmer. Sie zieht sich alleine an, und wenn sie fertig ist, geht sie wieder.
    »So geht das jedes Mal«, sagt sie. »Ohne Ausnahme, immer dasselbe … Hast du’s schon mal in einem Schrank getrieben?«, fragt sie unverblümt.
    Ich muss zugeben, dass ich das noch nie getan habe. Und nach dieser ganzen Geschichte fühle ich mich deprimierend gewöhnlich dabei.
    Wir sitzen eine Weile schweigend unter dem Baum. Plötzlich kommt mir ein Satz von Marlon Brando aus Der letzte Tango in Paris in den Sinn. Ein achtlos dahingesagter Satz, der mir schon immer gefallen hat, aus dem Monolog mit seiner toten Frau, wenn sie vor ihm im Sarg liegt:
    »A little touch of Mommy in the night.«
    Und wenn es das ist, worauf Marcus steht, dann habe ich damit kein Problem. Schließlich hatten schon jede Menge anderer toller Männer einen Muttikomplex. Ich sauge alles auf, was Anna mir erzählt. Dann nehme ich einen Schluck von meinem Kaffee und zucke zusammen, als ich merke, dass er fast ganz kalt geworden ist,

Weitere Kostenlose Bücher