Die Juliette Society: Roman (German Edition)
größenwahnsinnig. Ich weiß, dass ich nicht der Star in diesem Film bin, auch wenn ich denselben Namen wie die Hauptdarstellerin trage. Ich bin nicht mal in einer Nebenrolle zu sehen. Aber irgendwie, auf gewisse Weise, spüre ich da eine tiefe Verbindung. Obwohl ich eben bloß diese eine Sache mit seiner Hauptdarstellerin gemein habe, die eine frigide, französische Hausfrau aus der gehobenen Mittelklasse spielt, die insgeheim masochistische sexuelle Neigungen hegt.
Im Film lautet ihr Name Séverine, was sich vom lateinischen Wort für »streng« ableitet. Was soll das für ein Leben sein, wenn die Leute dich von Vornherein nicht leiden können, noch bevor sie dich überhaupt kennengelernt haben. Bloß aufgrund eines Vornamens. Séverine. Severus. Streng.
Wer kommt bloß auf die Idee, ein Kind von Geburt an mit so einem Namen zu belasten? Da könnte man es ja genauso gut gleich »Kein Spaß« nennen.
Das wäre überhaupt kein Spaß.
Dabei passt dieser Name ganz gut zu der Figur, die Catherine Deneuve in Buñuels Film spielt. Eigentlich gibt es gar keinen Namen, der besser zu ihr passen würde, denn wenn man ehrlich ist, macht sie wirklich nicht besonders viel Spaß. Sie ist eisig-kühl und jeder Eigenschaft beraubt, die sie einem sympathisch machen könnte oder menschlich erscheinen ließe. Bis auf ihre krankhaften Fantasien von Erniedrigung und Bestrafung. Aber man soll sie ja auch gar nicht mögen oder sich mit ihr identifizieren.
Und trotzdem tue ich es irgendwie.
Séverine. Kein Spaß. Überhaupt kein Spaß. Sie ist seit einem Jahr verheiratet und hat sich noch nie von ihrem Mann vögeln lassen. Sie ist seit einem Jahr verheiratet, und er darf noch nicht mal im selben Bett wie sie schlafen. Sie ist seit einem Jahr verheiratet, und er hat sie noch nicht einmal nackt gesehen. Ihr Mann: treusorgend, beschützend, zuverlässig und ach so verständnisvoll.
Séverine. Eine Jungfrau in der Realität, aber eine Hure in ihrer Fantasie. Und es ist diese Fantasie, die sie vom rechten Weg abbringt.
Nicht vergessen, die Handlung dient immer den Figuren.
Und Séverine, immer Sklavin und nie Herrin ihrer Begierden, treibt durch den Film wie in Trance. Treibt durch ihr Leben, als sei es ein Film. Bis ein Freund ihres Mannes, ein älterer Typ, verschlagen und schmierig, der sie vollkommen zu durchschauen scheint, ihr verrät, dass es einen Ort gibt, an dem Frauen wie sie – gehemmt, unmoralisch, unersättlich – ihre Fantasien heimlich wahr machen können. Ohne ihren Ruf im echten Leben aufs Spiel zu setzen.
Ein Bordell.
Er gibt ihr sogar die Adresse. Also geht sie in das Bordell und bekommt dort einen neuen Namen verpasst, um ihre wahre Identität zu verschleiern. Einen Namen, der exotisch klingt. Nicht wie Séverine. Einen Namen, der die Kunden anlocken soll.
Belle de Jour.
Eine hübsche französische Bezeichnung, die auf Englisch keinen Sinn ergibt, ganz gleich wie man sie dreht und wendet. Das ist vermutlich auch der Grund, warum niemand sich die Mühe gemacht hat, den Titel für den ausländischen Markt zu übersetzen.
Belle de Jour .
Wörtlich übersetzt heißt es soviel wie Schönheit des Tages. Oder Tagesschönheit.
Da muss ich sofort an »Tagesgericht« denken.
Vielleicht wollte Buñuel auch genau darauf hinaus. Eine Frau, die alles hat und der es an nichts mangelt, reduziert auf das Tagesgericht der Speisekarte eines Puffs. Buñuels kleiner Spaß. Seine kleine Demütigung. Sie ist immer das Gericht des Tages, jeden Tag. Das Sonderangebot, das sich nie ändert und an dem eigentlich überhaupt nichts »besonders« ist.
Das einzig Besondere an ihr ist ihre Schönheit, die, obwohl göttlich und übernatürlich, letztlich wertlos ist, denn ihr einziger Zweck ist es, Séverines Abstieg ins Hurendasein zu erleichtern, sie zu entwürdigen.
Sie ist wie Leber mit Kartoffelbrei. Jeden Tag das Gleiche.
Leber und Kartoffelbrei.
Da fällt mir Kim Kardashian ein.
Leber und Kartoffelbrei. In Hermès und Gucci.
Und in diesem Bordell gibt sich Séverine, herabgesetzt und entwürdigt, jeder einzelnen ihrer Begierden hin; ihre Träume überlagern die Wirklichkeit, und schon bald treten ihre Träume an die Stelle der Wirklichkeit.
Womit ich wieder ins Spiel komme.
Ich sitze im Kino, sehe mir den Film an und erkenne mich wieder.
Ich habe keinerlei Ambitionen, eine Hure zu sein. Nicht einmal insgeheim. Das meine ich nicht damit.
Was ich meine, ist, dass ich etwas in Séverine erkenne, das ich, so
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