Die Juliette Society: Roman (German Edition)
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Ich bin verwundert darüber, wie viele Mädchen wie Anna ihr Studium auf diese Weise finanzieren, mit Porno, und frage mich, ob ich die einzige Studentin bin, die das nicht macht. Ich wundere mich, warum sich so hübsche Mädchen, deren Aussehen ihnen von Natur aus eigentlich alle möglichen Vorteile im Leben verschaffen sollte, dazu entscheiden, das, was sie haben, zu ihrem Nachteil zu nutzen.
Ich muss an Séverine denken. Die alles hat, der es an nichts mangelt und der all das doch nicht genug war. Séverine, die mehr als alles andere nichts sein wollte.
Ich denke an Anna. Und dann sehe ich sie.
Ich klicke auf ihr Bild. Eine andere Galerie erscheint. Videoclips mit Anna, jeder veranschaulicht durch ein Vorschaubild. Ich scrolle mich durch. Es sind haufenweise, zu viele, um sie zu zählen. Und die Thumbnails sehen aus wie minutiöse Schaubilder mittelalterlicher Foltermethoden aus alten Buchmalereien.
Die Filmclips haben keine Titel. Anna hat keinen Namen, nicht mal ein Pornopseudonym. Sie wurde auf eine Nummer reduziert – eine offenbar willkürliche zehnstellige Zahl. Es ist, als blättere ich durch einen Katalog sexueller Abarten und Foltermethoden oder als hätte ich ein Browserfenster zur Büchse der Pandora geöffnet. Ich wünschte, ich hätte das nie gesehen, denn jetzt kann ich es nicht mehr ungesehen machen.
Womit soll ich anfangen?
Wie wär’s mit dem Drilldo? Warum nicht. Der erste Clip, den ich anklicke, zeigt Anna, eine Toilette und einen Drilldo. Falls Sie jetzt nicht wissen, was ein Drilldo ist, erklär ich es Ihnen gerne.
Es ist genau das, wonach es klingt: Eine Bohrmaschine mit einem Dildo dort, wo eigentlich der Bohrer sein sollte.
Ihre nächste Frage ist wahrscheinlich, wie er funktioniert.
Und die Antwort darauf lautet: Können Sie sich das nicht denken?
Haben Sie schon mal Löcher in eine Wand gebohrt, um ein Regal anzubringen?
Dann wissen Sie auch, dass eine elektrische Bohrmaschine durch den Putz geht wie Butter. Und sie bohrt weiter, bis sie auf eine tragende Wand aus Beton oder Ziegelstein trifft. Dann fängt sie an, die Scheiße aus einem rauszuschütteln. Also schaltet man auf »Schlag«, in der Hoffnung, den Bohrer noch ein bisschen weiter in die Wand zu meißeln, und wenn er dann wieder auf Stein trifft, wird die Bohrmaschine mit dem Rückstoß einer Kaliber .45 reagieren.
Und jetzt stellen Sie sich vor, dass Sie sich so ein Gerät in den Körper schieben.
Ich schätze, das muss man erst mal ein bisschen sacken lassen.
Eine gewöhnliche elektrische Bohrmaschine, wie man sie wohl in jedem Haushalt findet, wird zu einem Einsatz gebracht, den der Hersteller sicher nicht vorgesehen hat und den er so niemals empfehlen würde. Ein Elektrowerkzeug, das zu einem Sex-Toy zweckentfremdet wurde.
Aber nicht bloß zu irgendeinem Sex-Toy.
Zur .45er-Magnum unter den Sex-Toys.
Nennen Sie mich naiv, aber ich hatte keine Ahnung, dass es so etwas gibt. Ich hatte keine Ahnung, dass die Vibratortechnologie schon so weit fortgeschritten und dass das batteriebetriebene Häschen mittlerweile so überholt ist wie der Walkman. Dass die Vibratortechnologie schon in die Bereiche des Körperhorrors vorgedrungen ist und die weibliche Sexualität strampelnd und schreiend hinter sich herschleift.
Zweitausend Jahre menschliche Kultur und Zivilisation gipfeln in dem glorreichen Moment, in dem irgendein Genie die großartige Idee hat, einen Dildo und eine Bohrmaschine zu kombinieren. Als wäre das genau das, worauf die Welt gewartet hat: ein Sexspielzeug, das das Innere einer Frau mit zweitausendvierhundert Umdrehungen pro Minute bis zum Orgasmus malträtieren kann.
Es ist nicht bloß irgendein Sex-Toy.
Es ist der Maserati unter den Sex-Toys.
Gebaut für Frauen, aber – wie könnte es anders sein – von einem Mann konstruiert. Als ob die Frauen von den Konstruktionen der Männer nicht schon genug geschunden und gequält worden wären, musste einer noch den Drilldo erfinden. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie sehen zu, wie das Innere Ihrer besten Freundin von diesem Ding malträtiert wird.
Ich sehe Anna, die mitten in einer großen, düsteren, nasskalten, schmutzigen, unheimlichen Lagerhalle an eine Kloschüssel auf einem Betonsockel gekettet ist. Es gibt keinen Rahmen für diesen Clip, keine Erklärung, keine Handlung, keinen Dialog. Abgesehen von Anna ist keine weitere Person zu sehen. Keine Schatten, die im Hintergrund lauern. Keine Stimmen aus dem Off. Als hätte man sie dorthin
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