Die Juliette Society: Roman (German Edition)
verschleppt, gefesselt und vergessen. Und vielleicht ist das genau der Punkt. Jetzt verstehe ich, weshalb Anna meinte, dass die Site für ein bestimmtes Klientel sei. Die Filmchen sind so geschnitten, dass man immer nur das sieht, was einen derjenige, der sie gemacht hat, sehen lassen will.
Als Anna mir erzählt hat, was sie macht, als ich die Striemen und Blutergüsse an ihren Handgelenken gesehen habe, war ich verunsichert. Aber jetzt, wo ich direkt damit konfrontiert bin, besteht mein erster Reflex darin, zu lachen. Es sieht einfach total bescheuert aus. Aber auch irgendwie schön, auf eine bizarre Weise.
Annas weiche, blasse, gerötete Haut im Kontrast zu dem harten, weißen Email der Toilette. Sie hängt über der Kloschüssel, Kopf und Schultern auf dem Spülkasten, das Kreuz auf Sitzhöhe. Ihre gespreizten Beine werden mit Stricken um die Knöchel in Position gehalten wie eine Marionette an ihren Fäden, sodass ihre Möse und ihr Hintern wie auf dem Präsentierteller erscheinen. Seile, die über- und unterhalb ihrer Brüste um ihren Körper geschlungen sind, fixieren sie auf der Schüssel wie einen Hut auf dem Kopf einer Besucherin des Kentucky Derbys.
So etwas könnte sich Marcel Duchamps ausgedacht haben, wenn er sich in die Pornografie vorgewagt hätte.
Frau an Klo gefesselt.
Der Traum eines jeden Klempners.
Der Drilldo.
Des Elektrikers Lieblingswerkzeug.
Bring beides zusammen, was kommt dabei raus?
Der ultimative Handwerkerporno.
Und dieser Drilldo wummert auf Annas Muschi ein wie ein Presslufthammer. Ihre Augen haben sich komplett nach hinten verdreht. Ihr Körper bebt, so wie einem die Hände beben, wenn man einen Elektrobohrer bedient. Ihr ganzer Körper. Als wäre sie in einem Windkanal auf einen Stuhl gefesselt.
Und sie schreit. So wie man schreit, wenn der Wagen auf der Achterbahn über die erste große Kurve kippt und man nur noch den tiefen Abgrund sieht, der auf einen zurast. Ein Schrei der puren Lust und des schieren, unendlichen Grauens. Und ihr Schrei hört nicht auf, er verschmilzt nur irgendwann mit dem unerbittlichen, elektrischen Dröhnen des Drilldos.
Ich habe die Lautstärke ganz runtergedreht, aber irgendwie kommt es mir noch immer nicht leise genug vor. Denn ein Schrei klingt immer durchdringend, egal wie laut er ist. Aber ich scheue mich, den Ton ganz auszumachen, weil ich sicher bin, dass das Ganze stumm nur noch schlimmer wäre.
Ich schiele zur Schlafzimmertür hinüber.
Ich hoffe sehr, dass Jack schläft.
Ich versuche, mir vorzustellen, welche Frau sich so etwas aussetzt und warum. Ich frage mich, warum sich Anna dem aussetzt. Und habe die Antwort direkt vor mir.
Ihre Augen sind ganz glasig. Eine seltsame Ekstase steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ein Ausdruck, der sowohl »Ich will mehr« als auch »Aufhören« besagt. Beides. Gleichzeitig. Ein Ausdruck jenseits des Erträglichen. Ein Blick, den ich nie vergessen werde. Ich kann nicht aufhören, hinzusehen. Ich habe Angst, wegzuschauen. Ich weiß nicht, ob ich Anna ficken oder sie retten will.
Ich höre die Schlafzimmertür erst, als sie schon offen steht.
Erst als es zu spät ist. Erst als der nackte Jack im Raum steht und sich den Schlaf aus den Augen reibt.
Ich hämmere hektisch auf die Tastatur ein.
Schalte den Ton ganz aus.
»Wie spät ist es?«, fragt Jack mit verschlafener Stimme. Er ist benommen, aber noch immer ein wenig unwirsch.
»Du hast mich erschreckt«, sage ich.
Hat er etwas gehört?
Browserfenster ausblenden.
Die Angst, ertappt zu werden, überkommt mich. Die Paranoia steht mir ins Gesicht geschrieben.
Word-Fenster öffnen.
»Was machst du denn da?«, fragt er.
Er hat alles gehört. Er weiß es. Er hat Verdacht geschöpft.
»Essay«, sage ich und stoße einen Seufzer aus, ein klein bisschen zu theatralisch.
Keine weiteren Fragen. Bitte, keine weiteren Fragen. Die Sache mit den Schuldgefühlen beherrsche ich nämlich überhaupt nicht.
Er geht in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen, und kehrt dann ins Wohnzimmer zurück.
»Bleib nicht zu lange auf«, sagt er und blickt auf mich herunter.
»Ich hab’s gleich«, erwidere ich.
Er weiß von nichts, er hat nichts mitbekommen. Das kann ich jetzt in seiner Stimme hören. Ich komme mir dämlich vor.
Das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben, wird von dem Gefühl, bescheuert zu sein, abgelöst.
Und dann wird meine Aufmerksamkeit von seinem Schwanz abgelenkt. Er ist genau auf Augenhöhe. Morgenlatte, dick und stramm. Seine Hoden
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