Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Juliette Society: Roman (German Edition)

Die Juliette Society: Roman (German Edition)

Titel: Die Juliette Society: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasha Grey
Vom Netzwerk:
typisches Seemannsgericht, wie man es auf der Santa Maria , dem Flaggschiff von Christoph Kolumbus’ erster Expedition, gegessen hat.
    Bob spricht am Kopfende der Tafel mit gefalteten Händen und gebeugtem Haupt das Tischgebet. Auch ich senke den Kopf, aber ich linse über meine Hände hinweg, wie man es als Kind tut, wenn man die Bewegungen der Erwachsenen nachahmt, ohne wirklich zu verstehen, warum, und ohne wirklich daran zu glauben. Es ist eine alte Gewohnheit, die ich nie überwunden habe. So zu tun, als würde ich beten.
    Meine Familie ist katholisch, also bin ich geübt darin, aber ich habe mich bei Familienessen schon immer wie eine Betrügerin gefühlt, weil ich nur so tue und nicht wirklich dran glaube. Ich beugte immer den Kopf, murmelte die Worte aber bloß, damit ich nicht das Gefühl hatte, ich müsste mich wirklich dazu bekennen. Nebenbei beobachtete ich heimlich alle anderen am Tisch, um sie dabei zu erwischen, wie sie dasselbe tun. Mein Bruder betete immer, wie es sich gehört. Aber meine ältere Schwester war so rebellisch wie ich, und während alle anderen Gott dankten, wetteiferten wir darum, wer die Zunge am weitesten und am längsten rausstrecken konnte, ohne dabei erwischt zu werden. Und später, als wir alt genug waren, um die Bedeutung des Gebets zu verstehen, zeigten wir uns sogar gegenseitig den Stinkefinger.
    Ich linse also hoch und schaue mich verstohlen am Tisch um. Bob spricht das Tischgebet im selben Tonfall wie in seinen Wahlwerbespots. Gena hat den Kopf demütig gesenkt, die Augen fest geschlossen und diesen seltsam gequälten Gesichtsausdruck, während sie Bob nachspricht.
    Jack macht dasselbe wie ich, und als sich unsere Blicke über den Tisch hinweg treffen, grinst er.
    Während wir essen, trippelt der Hund, der bereits gefüttert wurde, dauernd mit dem quiekenden Spielzeug im Maul um den Tisch herum, bleibt an jedem Platz stehen und schaut erwartungsvoll hoch, in der Hoffnung darauf, dass jemand mit ihm spielt. Wenn ihn jemand ignoriert, wackelt er weiter zum nächsten. Irgendwann kommt das Vieh zu dem Schluss, dass es einfach nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient, und das Spielzeug nicht den erwünschten Effekt hat.
    Also setzt der Hund, Sebastian, ein Häufchen in eine Ecke des Esszimmers. Er hinterlässt einen perfekten kleinen Scheißhaufen mitten auf einem schönen marokkanischen Importteppich, und es sieht fast so aus, als gehöre er zum Muster. Man erkennt ihn kaum.
    Das ist es also, was sich dieser Hund unter Niedlichkeit vorstellt. Eine Tretmine mitten im Raum zu hinterlassen, quasi sein Beitrag zum Tischgespräch. Er kackt ohne viel Aufhebens auf den Teppich, während wir – Jack und Bob und Gena und ich – keine zwei Meter von ihm entfernt essen. Keiner von uns bemerkt es, bis Bob aufsteht, um uns nachzuschenken. Er tritt mitten hinein, rutscht aus, als sei er auf eine Bananenschale getreten, und landet auf dem Hintern. Das ist so komisch, dass ich beinahe in hysterisches Gelächter ausbreche, würde Bob nicht einen derartigen Wutanfall bekommen, dass Gena ihn in einen anderen Teil des Hauses lotsen muss, damit er sich wieder beruhigt. Jack und ich sitzen allein vor dem Essen. Wir fühlen uns fehl am Platz und peinlich berührt, als hätten wir eine Facette von Bob kennengelernt, die wir eigentlich nicht hätten sehen sollen. Schließlich taucht Gena wieder auf.
    »Bob ruht sich kurz aus«, sagt sie und erklärt, dass ihn die Wahlkampagne bis an die Belastungsgrenze gefordert habe. »Das ist eigentlich gar nicht seine Art«, sagt sie entschuldigend.
    Wir sehen Bob erst am frühen Abend wieder, als Gena und er in voller Montur auftauchen, weil sie zu einer gesellschaftlichen Verpflichtung müssen – eine Wohltätigkeitsveranstaltung, die er nicht absagen kann.
    Jack und ich haben den ganzen Nachmittag draußen auf der Terrasse verbracht, wo wir uns auf den Liegen gesonnt und die Aussicht genossen haben. Irgendwann beugte Jack sich zu mir vor und flüsterte: »Bob und Gena gehen heute Abend aus.«
    Ich lächelte und sah ihn mit einem Blick an, der bedeuten sollte: »Und was willst du mir damit sagen?«
    Aber ich wusste natürlich genau, was er damit sagen wollte. Wir würden das Haus ganz für uns alleine haben. Also könnten wir das tun, was jedes junge Paar tut, wenn es in einem fremden Haus sich selbst überlassen ist: vögeln.
    Damit bringt mich Jack wirklich aus dem Konzept, und ich weiß gar nicht, was in ihn gefahren ist, denn er scheint nicht

Weitere Kostenlose Bücher