Die jungen Rebellen
ihm in die Hände fiel. Eines Tages schrieb er selbst etwas nieder. Damals war er noch keine sechzehn. Sobald er es auf dem Papier vor sich sah, bekam er Angst und versteckte es in seiner Schublade. Am nächsten Tag holte er das Elaborat hervor und las es. Es war kein Gedicht und auch keine Prosa. Jedenfalls erschreckte es ihn, und er zerriß es. Dieser Angstzustand dauerte Tage. Damals lebte er noch in der »diesseitigen Welt«. Er konnte mit niemandem darüber sprechen. Was es war? Warum er es niedergeschrieben hat? Was hat es überhaupt zu bedeuten, wenn der Mensch einen Stift zur Hand nimmt und etwas zu Papier bringt? Wenn runde und fertige Zeilen aus seiner Feder fließen? Warum hat er das getan? Arbeiten Schriftsteller so? Einmal bekam Ábel ein Buch in die Hand, das jemand von der Front mit nach Hause gebracht hat. Es war ein russisches Buch mit russischen Buchstaben. Ein Roman. Von einem ihm unbekannten Autor. Daran konnte er nur mit großer Ergriffenheit denken. Irgendwo in Rußland lebt ein unbekannter Mensch, zaubert Figuren, Szenen und Tragödien aus dem Nichts hervor, bannt sie aufs Papier; so überwindet eine Seele die große Entfernung, und er hält sie dann hier in Händen.
Oft stand er vor der Auslage der Buchhandlung und betrachtete irgendwie bedrückt die Bücher. Sie bargen ein Geheimnis, nicht so sehr in dem, was sie aussagten, als vielmehr darin, weshalb sie geschrieben wurden. Darüber konnte er mit niemandem sprechen. Gelegentlich hatte er es mit Ernő versucht, aber der dachte immer an etwas anderes, sie redeten aneinander vorbei. Ernő interessierte der »Inhalt« der Bücher. Ábel wünschte sich, dahinterzukommen, warum die Bücher geschrieben wurden. Bereitete es dem Autor Freude ? Er selbst empfand eher Schmerz dabei. Und was er niederschrieb, das war verloren, ging ihn nichts mehr an, war eher peinliche Erinnerung; wie bei einem Verbrechen, für das man den Täter jederzeit –auch nach Jahren – zur Verantwortung ziehen kann.
Ábel hat ein paar Gedichte verfaßt. Darin war das Äußere eines Menschen beschrieben oder ein Gespräch wiedergegeben, das er auf der Straße belauscht hatte. Davon wußte niemand. Auch nicht die Kameraden in der Clique oder die Tante. Tibor interessierte sich nur für Sport, Theater, Frauen. Béla vor allem für Mode und Frauen. Der Einarmige nur für Frauen. Was Ernő interessierte, war schwer festzulegen. Er spielte leidenschaftlich gern Schach. Und Ernő war ein ausgezeichneter Mathematiker. Doch das Geheimnis zu ergründen, warum sich jemand nachts in sein Zimmer setzt, um schwarz auf weiß festzuhalten, was er gehört oder gesehen hat, das hatte für ihn keinen Reiz.
Nachts brütete Ábel über dem Papier, ihm fielen die heimlichen, verschämten Geigenséancen des Vaters ein, und er sprang ärgerlich auf, ging zu Bett und löschte schnell das Licht. Er spürte, daß das, was er schrieb, keinen Sinn hatte. Es ist nur so, als wenn der Vater Geige spielt. Wozu festhalten, was man tagsüber gesehen oder gehört hat? Irgendwo steckt doch ein Geheimnis, ein Bezug, den man herausbekommen und ausdrücken muß.
Eines Tages war ihm »Krieg und Frieden« in die Hände gefallen. Als er an die Stelle kam, da der Fürst aus dem Krieg heimkehrt, vor seiner toten Frau steht und deren Gesicht nur das eine fragt: »Was habt ihr mit mir getan?«, da schauderte er. Er spürte, daß hier jemand ausgesprochen hat, was eigentlich jenseits aller Worte liegt. Was der Inbegriff aller menschlichen Dinge ist. Was habt ihr mit mir getan?
Ábel kommt auf die Hauptstraße. In dem schwachen Licht wirkt die Straße wie ein Krankenzimmer. Auf der Promenade bummeln die Paare noch in Scharen, im Theater hat die Vorstellung begonnen. Vor dem Kolonialwarenladen, der Bélas Vater gehört, stehen Offiziere mit dem buckligen Apotheker zusammen, der alle intimen Geheimnisse der Stadt kennt. Man mustert die Mädchen, und der Apotheker unterhält die Herren mit diskreten Informationen. Von Zeit zu Zeit bricht die Gruppe in lautes Gelächter aus. Es sind auch Kurgäste in der Nähe, Kriegsversehrte, einer in Frontuniform. Der Apotheker hält sich die Hand vor den Mund.
Vis àvis vom Theater, vor dem Kaffeehaus, steht, an eine Litfaßsäule gelehnt, der Schauspieler. Er unterhält sich laut mit dem Einarmigen, erklärt ihm etwas. Als Ábel näher kommt, grüßt der Schauspieler mit Nachdruck.
»Auf dich warten wir, mein Engel«, sagt er.
~
Der Schauspieler ist im Frühherbst mit der
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