Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
schlechteste Meinung.
    Wenn er auf Frauen oder Komödianten zu sprechen kam, so benutzte er gern diese herabsetzenden Sammelbezeichnungen. Sein Gesicht verzerrte sich schmerzlich, zornig, sobald er über die Berufskollegen sprach. Weinerlich klagend erinnerte er sich an die Proben, die ihm die Vormittage raubten. Und mitten im Lamentieren sprang er plötzlich auf, als wolle er sich selbst auf die Schulter klopfen, zuckte mit den Achseln und erklärte: »Was will ich denn? Letzten Endes bin ich ein Gaukler.«
    Aber er ließauch ahnen, daß er nur letzten Endes ein Gaukler war.
     
    ~
     
    In der zweiten Woche ihrer Bekanntschaft lud der Schauspieler sie in seine Wohnung ein.
    Er wohnte in einer breiten Nebenstraße zur Untermiete im ersten Stock eines Mietshauses; die Fenster seines Zimmers sahen auf den schmutzigen großen Innenhof. Alle Möbel im Zimmer standen gedrängt an der Wand, das verlieh dem Raum etwas Saalartiges. Die Mitte des Zimmers beherrschte ein breiter Teppich; den Eintretenden kam ihr Ebenbild aus dem großen Standspiegel entgegen, der die Wand zwischen den beiden Fenstern einnahm.
    Das Zimmer wurde von einer Witwe vermietet, einer jungen Kriegerwitwe, die sich mit ihrem Kind mühsam durchs Elend der Zeit zu kämpfen hatte. Der Schauspieler studierte, wenn die Mutter zum Markt ging, mit dem Kind, einem rachitischen kleinen Mädchen, Ballettschritte ein.
    »Es gibt Menschen«, sagte er, »die sich darauf verlegen, am ganzen Leib Behaarte oder Kinder mit zwei Köpfen zu kaufen. Ich habe einen kennengelernt. Ihm war ein bis über den Bauch behaartes Mädchen bekannt, von dem sich die Mutter allerdings noch nicht trennen wollte, oder er wußte, wo ein Knabe mit drei Händen heranwuchs. Er registrierte sie für sich. Fuhr von Zeit zu Zeit zu ihnen hm, verfolgte ihre Entwicklung, korrespondierte mit den Eltern. Dann verkaufte er sie ans Panoptikum weiter. Hat viel Geld damit gemacht.«
    Die Clique ging mit einigem Lampenfieber zu ihm hinauf. Es hätte sie keineswegs gewundert, beim Eintreten vor seinem Bett ein paar Seehunde liegen zu sehen. Ganz in Schwarz, mit einer Blume im Knopfloch, erwartete er sie. Ging den Jungen mit ausgesuchter Höflichkeit entgegen, bot ihnen mit weltmännischer Unbefangenheit Platz an, dem einen auf dem Bett, dem andern beim Waschtisch oder auf dem Fensterbrett. Er war ein Marquis, der seinen Jour hatte. Sich selbst zog er, wie es seine Art war, einen Stuhl in die Zimmermitte, von dort sandte er sein Lächeln und die leutseligen Fragen in alle Richtungen.
    Sie mußten zur Kenntnis nehmen, daß auch der Schauspieler sein Handwerk beherrschte.
    Er hat ihnen nichts angeboten, doch er konnte bis zum letzten Augenblick ihrer Anwesenheit die Atmosphäre eines großen Empfangs vorgaukeln. Über ferne Ereignisse plauderte er, wies Einwände lächelnd zurück, er lobte die Körperhaltung von Tibor, Ábels aufmerksame Augen und die Sachkenntnis von Ernő. Darauf, welcher Sache dessen Kenntnisse galten, ging er nicht näher ein. Béla beschenkte er mit einer duftenden Krawatte.
    Der Einarmige ging mit verzücktem und selbstgefälligem Lächeln zwischen ihnen im Zimmer auf und ab. An diesem Nachmittag konnte der Schauspieler, den er ihnen zugeführt hatte, auf ganzer Linie punkten. Die Anspannung in der Clique löste sich. Gegen Ende des Besuchs gab es Augenblicke, da sie fast schon in eine Tonart verfielen, als wären sie ganz unter sich.
    Sie mußten bleiben, bis die Dämmerung einfiel, um ohne Aufsehen wegzukommen. So gingen sie einzeln. Ábel war der letzte. Der Schauspieler begleitete seine Gäste zur Tür und verneigte sich tief. Dann blieb er mit Ábel allein, stellte sich ans Fenster und kümmerte sich nicht um ihn. Ábel sah ihn nur im Profil. Jeden Moment fiel vom Gesicht des Schauspielers einer seiner Züge ab: zuerst das Lächeln, dann die gespannte Aufmerksamkeit, der orientierungslose, kurzsichtige Blick, und schließlich erschlafften die Lippen. Er schwieg, schaute in die Dämmerung hinaus und trommelte mit den Fingern an das Fensterglas.
    Ábel rührte sich nicht. Die Veränderung des Schauspielers machte ihn staunen. Er wartete, daß er etwas sagen würde.
    Als ob es ihn Mühe kostete, wandte sich der Schauspieler nach längerer Zeit mit einer unkontrollierten Bewegung müde um. »Du bist noch da«, sagte er ernst und traurig. »Worauf wartest du noch, mein Junge?«
    Er stand regungslos, verdeckte mit seinem breiten Rücken das Fenster. Ábel wartete einen Augenblick,

Weitere Kostenlose Bücher