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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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wäre, überkam sie von Zeit zu Zeit ein stiller Gleichmut. Irgend etwas hat ihr den Jungen fortgenommen. Und auch den Vater weggeführt. Der Sinn ihres Lebens war dahin.
    Ábel schlich mit schlechtem Gewissen um Tibor herum. Seit der Schauspieler in ihr Leben getreten war, hatte sich ihr Verhältnis getrübt, war voller Spannung und Beklommenheit. Zeitweise überkam ihn eine so aufgeregte Eifersucht, daß er sich nachmittags oder nachts aus seinem Zimmer stahl und vor Tibors Fenster rannte, um sich zu vergewissern, daß er zu Hause war. Oder er lauerte nach der Vorstellung vor dem Haus des Schauspielers. Wartete oft Stunden, bis dieser kam, beobachtete den Heimkehrenden mit Herzklopfen und schlich erst dann beschämt und erleichtert heim.
    Er war bestrebt, Tibor der Clique abspenstig zu machen und mit ihm allein zu sein. Das war ein um so schmerzlicheres Verlangen, als er wußte, daß Tibor sich in seiner Gesellschaft langweilte. Doch Ábel griff mit fieberhaftem Eifer nach allem, was Tibor freuen könnte. Er schleppte die Geheimnisse der Wohnung zu ihm hin, beschenkte ihn bei jedem Treffen, schrieb ihm die Hausaufsätze, ließ die Tante seine Lieblingsgerichte kochen. Er spielte für ihn Klavier. Am liebsten hätte er sich auch noch die Erfolgsgeheimnisse von Hochsprung, Faustkampf und vom Geräteturnen angeeignet, um Tibor zu imponieren. Unter fadenscheinigen Vorwänden teilte er sein Geld mit ihm, und als Tibor später auf Drängen der Clique den großen Coup landete, das Verpfänden des Familiensilbers, begleitete er ihn auf diesem gefährlichen Gang. Vielleicht um bei Tibors Sündenfall Augenzeuge zu sein und auf diese Weise Macht über ihn zu erlangen. Vielleicht um unmittelbarer Mittäter des schuldig gewordenen Tibor zu werden, damit sie, wenn dieser büßen und leiden muß, den Schmerz gemeinsam erdulden könnten.
    Tibor langweilte sich in seiner Gesellschaft. Doch er langweilte sich rücksichtsvoll, verbindlich und taktvoll; Ábel sah bestürzt, daß Tibor ihm zuliebe gesprächig war, nach Büchern griff und sich über deren Inhalt von Ábel berichten ließ. Auf Ábels Tisch lag »Das Duell« von Alexandr Kuprin.
    »Unverständlich und langweilig, nicht wahr?« fragte Tibor liebenswürdig. Ábel setzte zu einer leidenschaftlichen Erklärung an, senkte dann aber den Kopf und schwieg. »Unverständlich und langweilig«, sagte er und sah schuldbewußt vor sich hin.
    Was war schon dabei, Tibor zuliebe die großen Geister der Literatur zu verraten? Im Regal lag ein Band des Witzblatts »Fidibus«, und Tibor griff interessiert danach. Gequält blätterte Ábel mit ihm die ordinären Seiten durch, Tibor gab vorsichtige Kommentare zu den Albernheiten ab, und Ábel spürte, daß er sich mit Dingen wichtig tat, über die er wirklich nur verworrene Kenntnis vom Hörensagen hatte. Was sollte er ihm geben? War er nicht bei ihm, fühlte er sich verstört und durcheinander. Er bereitete sich auf die Zusammenkünfte vor, erfand jedesmal etwas Überraschendes, produzierte sich. Und Tibor gähnte diskret hinter vorgehaltener Hand.
    Er spürte, daß er ein Schwächling war, des Freundes nicht würdig, und er war bestürzt. Besah sich im Spiegel. Das rötliche Haar, die kurzsichtigen Augen, das sommersprossige Gesicht, der schmächtige Körper und die schlechte Haltung mußten auf Tibor peinlich wirken, der selbst jugendlich frisch und großgewachsen, in seinen Bewegungen weich und dennoch sicher war; die Haltung des Kopfes und sein Blick strahlten jederzeit sanften Stolz und Selbstbewußtsein aus, das Gesicht war ein wenig derb und hatte dennoch etwas kindlich Weiches.
    »Er ist mein Freund«, dachte er, und eine süße Dankbarkeit durchströmte ihn. »Er ist schön«, sann er von Zeit zu Zeit, und stets kehrte die schmerzliche, unverstandene Erschütterung wieder. Er lockte Tibor zurück in die andere Welt. Sah sich mit Interesse im Haus um, nahm sich der Reihe nach die Geheimnisse des Hofes, des Gartens, des Schuppens vor, alle Schätze des alten Reiches, beschwor die Welt der Märchen und Spiele herauf, die er in ihrem Treibhaus erlebt hatte. Tibor folgte ihm höflich und mit gelinder Langeweile. Sie sprachen über Mädchen, und Ábel spürte, daß sie logen. Sie wetteiferten im Ausmalen erfundener schmutziger Abenteuer und blickten sich dabei nicht an.
    Wechselseitig gestanden sie sich mehrere Geliebte ein, ganz besondere und ausnehmend anziehende, mit denen sie – heimlich – auch jetzt noch Verbindung hatten.
    Sie

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