Die jungen Rebellen
empfanden.
~
Ábel schloß sich in dieser Zeit eng an Tibor an. Der sanfte Pascha nahm die Annäherung mit gnädiger Gleichgültigkeit und geduldigem Wohlwollen hin. Ábel war anstrengend für ihn, doch er sah keine Möglichkeit des Entkommens.
Am Morgen wartete Ábel vor dem Haus der Prockauers auf ihn, stieß den vertrauten Pfiff aus, und dann gingen sie zusammen am Flußufer entlang zum Gymnasium. Tibor mußte jede Woche einmal bei Ábel zu Mittag essen. Die Tante förderte diese Kameradschaft, der verschlossene Knabe paßte mit seiner Freundschaft zu dem Wesen, für das sie Ábel hielt, wie sie ihn gern gehabt hätte.
Tibor war der einzige unter Ábels Freunden, auf den die Tante nicht eifersüchtig war. Die Besuche der ganzen Clique nahm sie eher kühl hm, bediente sie mit einer Art nervöser Neugier, hatte immer ein Auge auf sie und versuchte, die unverständliche Unterhaltung in ihre eigene Sprache zu übersetzen. Ohnmächtig beobachtete sie Ábel, den irgend etwas von ihr fortgenommen hatte, und in der Nacht traute sie sich nicht mehr in sein Zimmer, um dem schlafenden Knaben einen Kuß zu geben, wie sie es noch vor einem Jahr getan hatte. Auf Zehenspitzen schlich sie zu seiner Tür, lauschte den Atemzügen des Schlafenden, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Der Sinn ihres Lebens ist ihr geraubt worden, und sie kannte den Dieb nicht, wußte nicht, wann der Anschlag stattgefunden hat, sie huschte in ihr Zimmer zurück und lag mit Herzklopfen und ratlos grübelnd bis zum Morgen in ihrem Bett.
Ábel machte bei der Tante gern eine Ausnahme und verbarg seine Gleichgültigkeit und seine Rebellion hinter netten Gesten.
Die Tante aber mißtraute seinen Freundlichkeiten, spürte, daß Ábel ihr doch nur unwillig verzieh. »Dieser Ernő gefällt mir nicht«, sagte sie unvermittelt. »Er führt etwas im Schilde, du wirst sehen, mein Lieber. Sein Vater ist auch so ein Verrückter, dem hat jemand einen Schusternagel ins Hirn getrieben. Und auch das Lachen von Lajos ist mir unangenehm. Man muß es ihm verzeihen, denn er hat viel gelitten, aber wenn er mich manchmal ganz ohne Grund so angrinst, läuft’s mir kalt über den Rücken. Paß auf, mein Herz. Denk an Vater. Dein Vater hat immer alles durchschaut, kam allem gleich auf den Grund. Er würde diesem Zakarka in die Augen sehen und wüßte schon zu sagen, welche Absichten der verfolgt. Er könnte dir erklären, warum der ältere der beiden Prockauers so unvermittelt grinst. Und der Béla ist auch so einer. Dieses zerknitterte Gesicht, das aussieht, als ob er seine Nächte Gott weiß wo verbringt, ist gelb wie Pergament und voller Pickel. Angemalte Särge sind das, mein Liebling. Hör auf mich. Weißt du übrigens, wo Vaters Geige geblieben ist? Ich suche sie schon seit Tagen. Wenn er heimkommt, ist sie das erste, wonach er greift.«
Ábel wußte es nicht. Er durfte der Tante ja nicht sagen, daß die Geige seit Wochen im Arabesque-Depot ruhte und daß Béla, der keine Note kannte, aber große Virtuosen, die er nie gesehen hatte, imitieren konnte, die Clique mit tonlosen musikalischen Darbietungen auf Vaters Geige unterhielt. Wenn er mit dem Bogen auch nur eine Saite berührte, mußte er Strafe zahlen.
»Da ist dein Freund Tibor«, fuhr die Tante fort. »Weißt du, was ich an dem mag? Seine Art zu schauen gefällt mir. Hast du gemerkt, daß er manchmal errötet? Wenn ich ihn anspreche, schlägt er die Augen auf und wird rot. Und er weiß sich auch zu benehmen. Sein Vater hat ihn streng erzogen.« Sie wäre nun auch schon zum Teilen bereit gewesen, wagte aber nicht, sich einzugestehen, daß es überhaupt nichts mehr zu teilen gab. Den Ábel, der ihr einst gehörte, gab es nicht mehr.
Das Haus war groß und leer. Auch die Stadt schien ohne Männer leerer zu sein. Das Leben hatte für sie nicht mehr den vollen Sinn. Ábel schlug die Augen nieder, wenn die Tante ihn ansprach. Mehrfach war ihr aufgefallen, daß er sie, wenn auch ungern, eher aus Rücksichtnahme, angelogen hatte. Er log so, als wollte er sie mit der Wahrheit nicht verletzen. Und sie traute sich nicht, den Lügen nachzugehen, fand sich lieber mit dem ab, was der Junge sagte.
Langsam verflüchtigte sich der Wohlgeruch von Ábels Kindheit aus den Zimmern. Beide gingen sie witternd den Spuren nach, suchten das frühere Leben, den vertrauten Glanz ihrer Blicke, die Sanftmut der Gesten. Die Tante fügte sich ins Unabänderliche, und als ob ihr der große Irrtum ihres Lebens bewußt geworden
Weitere Kostenlose Bücher