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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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zumindest in der Realität des Schauspielers. Alle ihre Erfahrungen sprachen dagegen, daß man auch nur einem »von denen« glauben konnte. Sie haben es am eigenen Leib erfahren, daß die andere Seite sich nur dann zu ihnen herabließ, wenn sie etwas wollte, strafen oder fordern, auf jeden Fall eine ganz bestimmte Absicht verfolgte. Ebenso schwer war es zu glauben, daß sich der Schauspieler, der ja schließlich auch am offenen Fenster des Kaffeehauses sitzen, mit Zylinder und langstieliger Pfeife auf der Hauptstraße flanieren, die Gunst der Choristinnen und Primadonnen genießen könnte, daß sich der zu ihnen gesellte und ohne jeden Hintergedanken stundenlang mit ihnen diskutierte.
    Über das Arabesque schwiegen sie dem Schauspieler gegenüber. Er kletterte nach wie vor bereitwillig durchs Fenster, weil sie sich nicht zusammen sehen lassen konnten. Ein Spaziergang mit ihm in der Öffentlichkeit war nicht möglich, hätte eine Rüge durch Lehrer oder Verwandte nach sich gezogen. Dies wußte der Schauspieler, hielt sich notgedrungen artig daran und spielte das Versteckspiel taktvoll mit.
    Zu jedem von ihnen war er gleich nett. Seine spaßigen Geschichten trug er ernsthaft und mit zusammengezogenen Augenbrauen vor. Wenn man dem Schauspieler zuhörte, konnte man glauben, daß das Leben –überall auf der Welt –eine Abfolge von tragisch beginnenden, sich dann aber unbedingt heiter entfaltenden, außerordentlich interessanten Ereignissen war. Der Schauspieler sprach nicht von Negern, sondern von Negerlein. Einmal sagte er auch: »Das Türmchen von Pisa ist gar nicht so schief.« In seinem Mund, der ständig mit Knödeln zu kämpfen schien, wurde das All zum Welträumchen. An diese Verniedlichungen mußte man sich gewöhnen.
    Und gewöhnungsbedürftig war auch, daß er sich überhaupt mit ihnen abgab, ohne daß sie dahinterkamen, warum er es tat. Er saß auf einem Stuhl in der Mitte des Zimmers, frisch rasiert, im Pepitaanzug, die Perücke haftete wie mit Baumharz fixiert an seinem Schädel, aus seiner Zigarrentasche hing schlaff ein lila Tüchlein; den in ein Lackschühchen gezwängten Fuß übers Knie geschlagen, ließer seine strahlenden, etwas klein geratenen Äuglein flink wie Käferchen über sie hinwegtrippeln und gurgelte dabei mit heller Stimme allerlei über den Lauf der Welt. Ihn interessierte offenbar nur Extraordinäres.
    Eines Tages sagte Ábel: »Achtet darauf, wie er traurig vor sich hin starrt, wenn er wieder mal etwas ganz Starkes von sich gibt.«
    Dann nämlich entglitten die Züge des glatten, blauweißen Gesichts seiner Kontrolle, die Nase dehnte sich kummervoll in Längsrichtung, seine fleischigen Lippen klappten nach unten, und die Augen verschwanden hinter den halbgeschlossenen Lidern. Mutlos fielen ihm die flinken weißen Patschhändchen in den Schoß. So saß er, allein und immer in der Mitte des Raumes, darauf achtete er. Wo in der Zimmermitte ein Tisch stand, schob er ihn zur Seite, zog seinen Stuhl heran und plazierte sich genau im Zentrum des Kreises.
    Auch an seine Düfte mußte man sich gewöhnen. Oder daran, daß er permanent Pfefferminzbonbons lutschte. Zeitweise, wenn er schlechte Tage hatte, roch er unerträglich. Gewöhnlich aber verwendete er Parfüms mit Zimtgeruch. Doch sobald ihn ein Kummer plagte, goßer ziemlich wahllos Duftwässerchen über sich: Moschus, Flieder, Chypre und Rosenöl, wandelte dann trunken in solchen Duftwolken, und von Zeit zu Zeit zog er sich schnuppernd die Krawatte, die eine Extraduftnote hatte, an der Nase vorbei.
    Sein großer, schwerer, wehmütiger Körper verfügte über eine eigenartige innere Elastizität. Wenn er aufstand, machte er eine Drehung, als wolle er zu einer Pirouette ansetzen. Bei der Verbeugung stellte er sich auf die Zehenspitzen, legte eine Hand an die Lippen und ließ seinen Arm im großen Bogen mit breitem Schwung kreisen. Dann fügte er hinzu: »So grüßen die Gaukler …«, und er machte dazu so traurige Augen, als ob er an all dem unschuldig wäre.
    Er erklärte jede seiner Bewegungen. Konnte stundenlang darüber reden, warum er etwas tat, auch über das, was er nicht mochte. »Ich hasse es«, sagte er. Und: »Ich vergöttere.« Den Mittelweg gab es für ihn nicht. Doch wenn er diese beiden Wendungen oft genug wiederholt hatte, machte er eine Pause und fragte: »Wie primitiv, nicht wahr? Und wie hysterisch! Ich hasse! Vergöttere! Nur Weiber reden so, und Komödianten.«
    Von Frauen und Komödianten hatte er die denkbar

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