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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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zu ihnen, wenn sie ängstlich in verlassene Vorstadtkneipen schlichen. Er, dem alles erlaubt war, was den anderen die Eltern verwehrten, und ebenso eine komplizierte Hierarchie, in der Bekannte der Eltern eine genauso gefährliche Rolle spielten wie die Lehrer oder die Militärpatrouillen, teilte auch hier in Demut ihr Schicksal.
    Im Einarmigen gärte, seit er von der Front zurück war, etwas Unerledigtes. Nie ging er genauer und ausdrücklich darauf ein. Ernő berichtete der Clique, daß Lajos häufig den Schuster aufsuche. Stundenlang tuschelten sie miteinander. Wenn sie Lajos darauf ansprachen, wich er stotternd aus und ging seiner Wege. Die Clique beobachtete diese Rückfälle, in deren Verlauf er die Gesellschaft der Erwachsenen suchte, voller Mißtrauen. Lajos pendelte ruhelos zwischen den beiden Welten. Als suche er etwas, eine Antwort, etwas, was ihm verlorengegangen ist, und er weiß nicht, wo.
    Béla sagte, er suche seinen verlorenen Arm.
    Doch diese dumme Erklärung wischten sie weg, und Béla schwieg beschämt. Den verlorenen Arm konnte er nicht suchen, denn von dem wußte er, wo er geblieben war, zuerst kam er in einen Eimer, dann in die Kalkgrube. Bagatellen sucht der Mensch nicht so fieberhaft, erkl ärte Ernő überheblich. Ábel meinte, daß Lajos seinen Platz suche. »Er will nicht glauben, daß alles, wonach er sich gesehnt hat, die Freiheit, die den Erwachsenen zustehenden Vorrechte, weniger wert sein soll als ihr Bündnis. Er ist auf der Suche nach etwas, was er vielleicht früher versäumt hat und unter den Erwachsenen nicht wiederbekommen kann.«
    Über die Erwachsenen redeten sie, ohne sie eigens zu benennen. »Sie«–das sprach für sich und machte klar, wer gemeint war. Die Jungen spionierten ihnen nach und tauschten untereinander Erfahrungen aus, mutmaßten über die zu erwartenden Entwicklungen. Wenn Herr Zádor, der Sekretär des Bischofs, der ständig seinen Zylinder trug, auf der Straße strauchelte und in eine Pfütze fiel, so war das für sie ebenso ein Sieg wie die Nachricht, daß den Richter Kikinday Zahnschmerzen quälten und er seit Tagen nicht mehr schlafen konnte. Man war nicht wählerisch in seinem Haß und kannte keine Gnade. Sie hatten sich auf die These geeinigt, daß im Krieg, zur Vernichtung des Feindes, jedes Mittel recht sei. Und daran, daß sie im Krieg lebten, in ihrem speziellen, ganz persönlichen Krieg, der unabhängig von dem der Erwachsenen geführt wurde, zweifelten sie keinen Augenblick.
    Lajos war der Spion. Er wechselte ins feindliche Lager und berichtete getreulich über alles. Für einen wirksameren Angriff ergab sich nur selten Gelegenheit, der Feind war geharnischt, mißtrauisch und gnadenlos. Mit seinen riesigen Pranken langte er bereits nach ihnen, und er würde sie vielleicht schon bald fortraffen.
     
    ~
     
    Der Schauspieler kam, wenn auch durchs Fenster, aus dem anderen Lager. Er war erwachsen, hatte einen Bauch, ein blaurasiertes Doppelkinn, trug eine Uhrkette, extravagante Kleider und eine Perücke. Lajos brachte ihn mit, nachdem sie länger darüber verhandelt hatten, und sie begegneten ihm mit dem einem Gegner zukommenden Mißtrauen.
    Gleich in der ersten Stunde bot er ihnen das Du an. Sie lauerten. Der Schauspieler saß, wandelte auf und ab, schwadronierte und berichtete. Er hatte viel zu sagen. Rauchte ihre Zigaretten, referierte über Städte, erzählte schlüpfrige Witze. Gab Einblick in das Innenleben des Theaters, tratschte über die Amouren der Kolleginnen, nannte Namen und erwähnte Einzelheiten. Seine Informationen wurden mit Interesse registriert, gaben sie doch Aufschluß über die geheime Strategie des Gegners.
    Der Schauspieler war in jeder Beziehung verdächtig. Er verwendete Vokabeln wie: Meer, Barcelona, Zwischendeck, Berlin, Metro, Dreihundert-Francs-Schein. Er sagte Dinge wie: »Und dann kam der Schiffskapitän herunter, und die Neger sprangen der Reihe nach ins Wasser.« All das war äußerst verdächtig; hörte es sich doch ganz so an wie ihre Geschichte vom Schiffskapitän, dem sie am Nachmittag vor dem Theater begegnet sein wollten. Der Schauspieler sagte etwa: »Da hatte ich bereits drei Tage nicht geschlafen, mein Gepäck blieb in Jeumont zurück, und mich hat der Schlaf überwältigt. Plötzlich hält der Zug, ich blicke hinaus und sehe: Köln. Was soll’s, denke ich, Köln, laß dir was Vernünftiges einfallen.« So redete er stundenlang. Doch der Verdacht verstärkte sich, daß dies alles in Wirklichkeit anders war,

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