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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Befremden ab.
    Tibor verstand nicht, was er bei ihnen zu suchen hatte. Lösen wollte und konnte er sich nicht von ihnen, und doch fühlte er, daß er nur Gast im Kreise derer war, die sich ihm zu Ehren versammelten. Alles, was sie taten, erfüllte ihn mit einer Art bitterer Schadenfreude. Welche Folgen wird das haben, dachte er und verzog den Mund. Er spürte, daß in den Spielchen der Clique ein Sinn lag, daß eine Welt darin am Leben erhalten wurde, an die auch er sich erinnerte, die erfreulich war, gerecht und unbeschreiblich aufregend; die Clique wollte aus den Splittern jener Welt unterhalb der Himmelskuppel irgend etwas, eine Art Glasglocke, bauen, unter der sie sich verstecken und durch die sie mit schmerzlicher Grimasse auf die andere Welt starren könnten.
    Er war der einzige, der sich wenig darum kümmerte, was geschehen würde, wenn diese Glasglocke zerspränge und er einrücken müßte. Der Krieg: Um wieviel kann er schlimmer sein als der Druck vor der Matura, als das demütigende Verkriechen, das illegale, das geknechtete Leben, das er in dieser Welt zu führen hatte. Vermutlich ist auch der Krieg nur eine Form der Knechtschaft und der Demütigung, von Erwachsenen erfunden, um sich gegenseitig und vor allem die Schwächeren zu quälen.
    Und so blieb er mit der Clique zusammen, weil er spürte, daß ihm dieses Bündnis Schutz bot vor der einzigen, der unverständlichen Macht, der Allmacht der Erwachsenen. Und weil er fühlte, daß Fäden sie aneinanderknüpften, deren Bindekraft er nicht kannte. Diejenigen, denen keiner befahl, die im Zustand des Aufbegehrens gegen jegliche Macht lebten, kamen zu ihm und legten ihr Schicksal sanft in seine Hände. Vielleicht war das Gefühl, mit dem er sich unter ihnen bewegte, Mitleid, auch ein wenig Nachsicht und Wohlwollen. Sie forderten wenig, und sie konnten fürchterlich leiden, wenn er ihnen das wenige –ein Lächeln, eine Handbewegung oder auch nur, daß er unter ihnen war –verweigerte.
     
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    Das Zimmer im Arabesque und diese Monate: all das brachte Ábel, zeitweilig und mit nur leichten, kaum wahrnehmbaren Schwankungen, näher an ihn heran. Was sie verabscheuten, das verknüpfte sie mit kaum spürbarer Bindung, sie beide mehr als die andere Hälfte der Clique: die Klasse, aus der sie stammten, die lose Übereinstimmung von Formen der Erinnerung, die Gemeinsamkeit der Erziehung und Lebensweise. Etwas war zwischen ihnen, von dem sie spürten, daß es nur ihnen beiden gehörte –vielleicht die Tatsache, daß sie in ihrer Kindheit gezüchtigt worden waren, wenn sie nicht ordentlich mit Messer und Gabel hantierten, oder die Art, wie sie grüßten oder einen Grußentgegennahmen. Ábel war ein Schwächling, hatte Sommersprossen und rötliches Haar –doch seine Physis, besonders die Hände, zeigte etwas Verwandtes, das den beiden anderen fehlte. Vielleicht das, was Ernő so ausdrückte: Reichtum ist nicht das Geld, sondern etwas ganz anderes.
    Dieses Schuldbewußtsein, daß sie, im Unterschied zu den beiden anderen, die vielleicht unmittelbarer im Leben standen, etwas besaßen –ein wertloser Vorsprung, aber doch einer, den die anderen in diesem Leben nicht aufholen könnten –, führte innerhalb der verschworenen Gemeinschaft zu ihrer eigenen Verschworenheit.
    Den Obersten Prockauer hatte seine Karrierewanderung über viele traurige Stationen geführt, und Tibor schleppte die trostlosen Erinnerungen an Kasernen und Garnisonsstädte aus dem Bewußtsein seiner Kindheit mit. Lajos, der Einarmige, in vielem dem Vater ähnlich, war genußsüchtig, gierig und gewalttätig. Verwundert ahnte Tibor manchmal, daß den Einarmigen, der auf Kasernenhöfen und unter dem militärischen Drill seines Vaters eine ebenso unfreie Kindheit durchlitten hatte wie er, das gleiche Verlangen zu der Clique zog, der Zwang aufzubegehren, die Sehnsucht nach der unwiederbringlich verlorenen »anderen Welt«. Mit Staunen sah Tibor, daß Lajos, der mit Hirnschädigung und nur einem Arm aus der Welt der Erwachsenen dorthin zurückkehrte, von wo er einige Monate zuvor ausgezogen war, aus dem gemeinsamen Zimmer und von der Schulbank, sich jetzt freiwillig den unter der Sklaverei Schmachtenden anschloß. Als sich Lajos der Clique näherte, war in seinem Verhalten eine Art devoter Nervosität, eine Unterwürfigkeit, die oft mit ungezügelten Zornausbrüchen abwechselte. Er wollte an ihren Sorgen teilhaben, rauchte ebenfalls heimlich, drückte sich nachts in den Seitengassen herum, gesellte sich

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