Die jungen Rebellen
saßen im Garten, als Ábel mitten in einer solchen Geschichte stockte. »Ich lüge«, sagte er schnell und stand auf.
Tibor erhob sich ebenfalls, blaß. »Warum?«
»Jedes Wort, das ich dir von den Mädchen erzählt habe, war gelogen. Kein Wort ist wahr. Und du lügst auch. Gesteh, daß du gelogen hast, sag es. Du hast doch auch gelogen, Tibor, nicht wahr?«
Beide zitterten. Ábel faßte Tibor an der Hand.
»Ja«, sagte Tibor mißmutig. Zog seine Hand zurück.
Ábel gab Tibor auch die Erinnerung an den Vater preis. Denn der Vater war bereits Erinnerung, ein schemenhaftes Wesen, eine Fiktion zwischen den Begriffen von Gottheit und Tod. Dies war das einzige Feld, wohin ihm Tibor scheinbar gern und unschwer folgte. Sie tauschten ihre Erinnerungen an die Väter aus, die ersten Ängste und alle kleinen Begebenheiten, die wie nebelhafte Legenden in ihnen dämmerten, ihr ganzes Leben lang. Tibor schilderte seine Erschütterung, als er in der Schublade von Vaters Nachtkästchen eine Fischblase fand, und malte mit verworrenen und gequälten Worten seine Bestürzung aus, weil der Vater zum ersten Mal ein Versprechen nicht gehalten und ihnen irgend etwas vorgelogen hatte. Da sind sie beide, Lajos und er, weggelaufen und haben sich im Stall der Kaserne versteckt, wollten in ihrer Verzweiflung sterben.
Über ihre Väter konnten sie sprechen. Hier war die Wurzel allen Übels, die Väter waren nicht ehrlich, wichen mit ihren Antworten aus, sagten nicht, worunter sie litten, das Himmelsgewölbe, an dessen Rand sie thronten, war in Nebel gehüllt, und die graue Dusche der Enttäuschungen ergoß sich über sie. Der große Friede wäre vielleicht dann zu schließen, wenn sie mit den Vätern eines Tages zu einer Übereinkunft fänden.
»Daran glaube ich nicht«, sagte Tibor schaudernd. »Vielleicht knallt er mich ab. Jetzt ist er ja in Übung. Ich glaube, er hätte sogar das Recht dazu. Wenn er morgen heimkommt und das Silber und der Reitsattel nicht mehr da sind … Wie wird es sein, wenn er nach Hause kommt? Wie stellst du es dir vor?«
Ábel schloß die Augen. Wenn Vater heimkehrt, wird das ein ganz besonderes Fest sein, eine Mischung aus Todesfall und Kaisers Geburtstag. Vermutlich werden beim Einzug die Glocken geläutet, er wird am Tisch sitzen und der fehlenden Geige nachtrauern, auch einige Scheren und Zangen vermissen. Dann wird Ábel eintreten, küß die Hand sagen und sich verbeugen. In diesem Augenblick wird sich alles entscheiden. Vielleicht hebt er die Hand und schleudert ihm Donnerpfeile entgegen. Doch es ist auch möglich, daß Vater auf ihn zugeht, und er wartet mit Beklemmung darauf, daß er ihn in die Arme schließt und sie sich küssen. Und dann werden sie sich zögernd ansehen.
»Vielleicht«, sagte Ábel sinnend, »wird er sich entschuldigen.«
»Oder er knallt dich ab«, wiederholte Tibor hartnäckig.
~
Ende Oktober schlug dann das Schicksal zu. Bélas Vater machte Kassensturz und registrierte die Fehlbeträge. Einstweilen waren es nur kleinere Posten, und auf Béla fiel kein Verdacht.
Erste Folge dieser Entdeckung war, daß das Gericht einen sechzehnjährigen Lehrbuben für zwei Jahre in die Besserungsanstalt einwies.
Die riesigen Baulichkeiten der Besserungsanstalt lagen auf dem Weg zum Arabesque; sooft sie zu ihrem Reich hinauszogen, mußten sie am Zaun der Anstalt vorbei. Und gegen Abend, wenn sie denselben Weg heimwärts gingen, hatten sie die beleuchteten Fenster des Kindergefängnisses im Blick. Die roten Ziegelbauten lagen hinter einem hohen Gitterzaun, am Tor stand ein Gefängniswärter.
Die Untersuchung hatte also stattgefunden, und der Vater stellte mit Erleichterung fest, daß die Seinen ehrlich waren. Nur die Clique wußte, daß die Lawine losgetreten war. Die Unregelmäßigkeiten, denen der Vater auf die Spur gekommen war und die den Lehrbuben an Bélas Stelle in die Besserungsanstalt brachten –der Lehrling hatte übrigens zu jedermanns Erstaunen seine Schuld gestanden und nicht lange geleugnet –, sie waren unbedeutend, verglichen mit Bélas großen, den »richtigen« Zugriffen. Doch dieser »richtige« Schwindel konnte jeden Tag auffliegen. Und dann waren sie alle erledigt.
Die Wende gefiel auch dem Schauspieler nicht, den sie jetzt eingeweiht hatten. Er nahm die Mitteilung, daß Béla Geld entwendet hatte, ohne Empörung zur Kenntnis, machte ihnen keine Vorwürfe, daß sie von dem gestohlenen Geld auch ihm etwas hatten zukommen lassen. Wenn es ihm möglich wäre, würde
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