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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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der Meinung, daß sie auftreten müßten. Die völlige Undurchführbarkeit des Plans deprimierte sie zutiefst. »In geschlossener Gesellschaft«, meinte der Schauspieler. Natürlich ohne Rollenstudium, jeder würde sagen, was ihm in den Sinn kam. Jetzt, da sie zum ersten Mal ein Fremder so sah, wunderten sie sich, wie reich sie waren. Die Reichtümer, die sie hier angehäuft hatten, waren ein Schatz, nur Bargeld war daraus nicht zu erlösen. So schlichen sie am Abend mit der Überzeugung in die Stadt zurück, daß sie verloren waren.
    Beim Verabschieden winkte Lajos Tibor zu sich, legte die Hand auf seine Schulter: »Das Silber«, sagte er.
    »Das Silber«, wiederholte der Schauspieler begeistert. »Was für Silber? Wenn es Silber ist, können wir alles in Ordnung bringen.«
    Er sagte das mit so viel Sachkenntnis, daß alle nachdenklich schwiegen. Sie wußten, um welches Silber es sich handelte. Es lagerte in einem Lederkoffer unter dem Bett der Frau Oberst.
    Nur der Schauspieler wußte nicht, von welchem Silber die Rede war, aber ihm war das sichtlich egal. »Wenn es nur echtes Silber ist«, meinte er besorgt. »Ich werde mit Havas reden. Er ist mein Freund und versteht etwas von Silber.«
    »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?« wandte Tibor sich langsam, seine Worte kindlich artikulierend, an Béla. In seiner Stimme lag ein unendliches Staunen. »Was hast du dir vorgestellt, wie sollte die Lösung aussehen? Du mußtest doch wissen, daß es herauskommen wird.«
    Im Schein einer Gaslaterne standen sie, zu einem dunklen Trupp verschmolzen, an der Straßenecke zusammen.
    Doch dies war der Augenblick, da auch Béla seine kühle Gleichgültigkeit verließ. »Ach, ich«, sagte er indigniert. »Ich habe mir gar nichts vorgestellt. Warum sollte ich. Habt ihr euch vielleicht«, und hier machte er eine Pause, als müsse er sich sehr wundern, »habt ihr euch in dieser ganzen Zeit etwas vorgestellt?«
    Und das war es, was in diesem Augenblick gesagt werden mußte, beim ersten Aufblitzen von Nüchternheit, die nun zum ersten Mal seit Monaten bei ihnen durchkam, das war der richtige Satz, der Tibors Frage zurückverwies in ihre wirkliche Welt und die Sinnlosigkeit jedes Zweifels deutlich machte. Der Vater hätte das fragen können, der Bürgermeister, irgend jemand, nur Tibor nicht. Und nun spürten sie, daß die Welt, die sie sich errichtet hatten, sich um sie herum geschlossen hatte, und wenn sie deren Gesetzen zuwiderhandelten, brächten sie das Ganze zum Einsturz.
     
    ~
     
    Die Mutter wurde zur Beobachtung für zwei Tage ins Krankenhaus eingeliefert, da brachten Ábel und Tibor das Silber zu Havas. Béla überwies dem Geschäftspartner seines Vaters das Geld, mit einem gewissen Bedauern, weil er es auch für vernünftigere Zwecke zu verwenden gewußt hätte. Ábel bestand darauf, daß sie den Lehrbuben besuchten, der an Bélas Stelle die Strafe verbüßte.
    Béla erinnerte sich nur ganz schwach an den Jungen. Als sie die Besuchserlaubnis bekamen und, bepackt mit Obst und anderen Lebensmitteln, verlegen im Gesellschaftsraum der Besserungsanstalt auf ihn warteten, befiel sie allmählich alle eine beklemmende Unruhe. Durchs Fenster sahen sie die Werkstätten, in denen ihre Schicksalsgenossen arbeiteten, die Tischler- und Schlosserwerkstatt, die Backstube und zwischen den langen Blumenbeeten die hinausbefohlenen, im Freien werkelnden Kindertrupps in blauen Kitteln, ihren Sträflingsuniformen. Es waren viele; jedes Kriegsjahr hatte hier seine Ernte abgeliefert. Sie starrten die vergitterten Fenster der Schlafräume an, den öden Saal, in dem sie stumm herumstanden, die mit Wachstuch überzogenen Bänke an der Wand und das große Kruzifix.
    Das war die Sonderstrafanstalt ihrer Welt: Und vielleicht hatten sie sich nie so scharf von der Erwachsenengesellschaft abgegrenzt gefühlt wie in den Minuten des Wartens an dieser Stelle. Sie mußten feststellen, daß das, was sie spielten, was sie sich teils unwissentlich, teils mit Absicht errichtet hatten, eigentlich nur eine Zelle dieser realen Welt war, ihre Extragesellschaft innerhalb der Gesellschaft der Erwachsenen. Daßes eine Welt gab, deren Gesetze, Moral und Struktur sich von denen der Erwachsenenwelt streng unterschieden, die sich jedoch im selben Kraftfeld bewegte, in dem die Erwachsenen zappelten und zugrunde gingen, und die eine Hierarchie und einen geheimnisvollen Zusammenhalt besaß. Und sie spürten jetzt, daß nichts, was sie in diesen Jahren begangen hatten, ohne

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