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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Einfahrt, der Schauspieler hielt das runde weiße Bonbon verführerisch in die Höhe, das Kind verfolgte es mit der Aufmerksamkeit eines Hündchens und drehte seinen krummen kleinen Körper schwerfällig auf den wegknickenden Zehen. Nach einigen gemeinsamen Drehversuchen schüttelte der Schauspieler traurig den Kopf, als hätte er die Hoffnung auf seine Entdeckung endgültig aufgegeben, und schob dem Kind mit resignierender Geste das Bonbon in den Mund. Eine magere Frau mit Kopftuch war am Tor stehengeblieben und hatte den tanzenden Mann und das Kind aufmerksam betrachtet. Der Schauspieler grüßte höflich und schwebte unter den Bäumen fröhlich dahin. Er dachte daran, daß er am Abend im Theater, wo man ihn haßte, einen Vorschuß verlangen mußte. Lächelte und sah hochmütig in die Luft. Überlegte, daß er seinen hellgrünen Frühlingsanzug in die Reinigung geben sollte. Dachte auch daran, daß man in der ganzen Monarchie keine anständigen amerikanischen
    Gillette-Rasierklingen mehr bekam und daß die deutschen Klingen nicht annähernd so gut waren. Erwog schließlich, in der nächsten Woche mit einer Diät zu beginnen. Der Name eines Masseurs fiel ihm ein, der eine Woche lang zu ihm gekommen war und sich dann erhängte. Hätte auch durchdrehen können, als er gerade meinen Nacken im Griff hatte. Er schüttelte verächtlich den Kopf. Im Gehen betrachtete er das frische, zartgrüne Laub, pfiff leise seine Arie aus der neuen Operette vor sich hin. Da hatte er zwei Schritte rückwärts und eine Verbeugung, so … Sah sich um, nein, hier ging es nicht. Er sagte sich, daß er die Stadt bald verlassen würde. Wenn der Krieg einmal aus wäre, sollte er sich auch den Leistenbruch operieren lassen. Sein Weg führte ihn beim Lebkuchenbäcker vorüber, da fiel ihm sein jüngerer Bruder ein, der eines Tages ganz ohne Anlaß eine Schachtel Honigkuchen kaufte, sie ihm als Geschenk in die Stadt brachte, wo er, Amadé, bei einem Photographen in der Lehre war, und dann am nächsten Tag, quasi nach getaner Arbeit, wieder heimfuhr. Später wurde er Maschinist. Irgendwo in Frankreich ist er verschollen. Er dachte daran, daß man auf Ernő aufpassen müßte. Diese maulfaulen Duckmäuser sind gefährlich. Und dann die Sache mit dem Krüppel, dem ein Auge fehlte, eines Nachts wachte er auf, da stand der Kerl mit einem Messer an seinem Bett und fletschte die Zähne. Man muß auf alle aufpassen, auch auf den Einarmigen, aber auf Ernő ganz besonders. Pfeifend kam er zur Drogerie, blieb stehen und betrachtete die Auslage; die Versuchung war groß, einzutreten und einen kleineren Posten Kampferkugeln zu erstehen, nicht so sehr gegen die Motten als vielmehr wegen des Geruchs. Seine Sinne waren jetzt durchdrungen vom intensiven, herbfrischen Geruch des Kampfers. Schlechtgelaunt ging er von dannen. Kampfer kann schließlich jeder kaufen, auch der Ärmste. Man muß nur unbefangen auftreten und lässig sagen: »Zehn Dekagramm Kampfer bitte.« Niemand kann den Verdacht hegen, daß er das Zeug nicht gegen Motten, sondern zum Schnüffeln braucht. Er hatte keinen Heller in der Tasche, mußte noch vor der Vorstellung mit Havas reden. Ihm war nicht wohl. Nie und nirgends, in keiner Stunde seines Lebens, war er sich ganz sicher, ob er nicht noch in derselben Nacht packen und abreisen würde. Er empfand eine gewisse Beklemmung, fühlte, witterte etwas Beunruhigendes in der Luft. Er spürte Verderben allerorten. Rümpfte die Nase. Mit Havas wollte er noch sprechen, mußte ihm sagen, daß er auf seine Finger achten sollte. Nichts weiter, nur daß er auf seine Finger achten sollte. Er atmete tief. Die Luft, der schwere, frische Erdgeruch legte sich auf die Brust.
    Der Pfandleiher saß hinter dem Gitterfenster, allein. Pfeifend trat der Schauspieler ein, schwang sein Stöckchen und rückte den Hut ein wenig höher, vorsichtig, damit sich die Perücke nicht verschob. Havas erhob sich, kam näher und stützte sich mit dem Ellbogen aufs Fenstergitter. Der Schauspieler blickte verträumt umher, als ob er zum allerersten Mal hier wäre, bestaunte die Tafel: »Sachgut-Annahme« und die andere: »Sachgut-Ausgabe«. Ohne zu grüßen, lehnte er sich ans Gitter und sah vor sich hin.
    »Stell dir vor«, sagte er ganz beiläufig und rollte zerstreut seine Negeraugen. »Sie sind unschuldig … unberührt.«
     

 
3
     
    ~
     
    Im Theater ist die Vorstellung zu Ende. Die Drehtür kreist, und mit den nächtlichen Stammgästen flattern nach und nach auch die

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