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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Es war am Morgen, auf der Straße niemand zu sehen, lange hörte ich noch das Geräusch seiner Schuhe. Ich blieb dort an die Mauer gelehnt stehen. Was kann er gemacht haben? Was ? Er war mit einem Mädchen zusammen, und sie waren nackt … vielleicht auch ohne Hemd … das brachte mich völlig durcheinander … aber die Schuhe, warum hat er die Schuhe ausgezogen? Es muß eine fürchterliche Nacktheit sein, dachte ich.«
    Der Schauspieler zwinkerte in schneller Folge und spitzte erwartungsvoll den Mund. »Ja, das ist die Höhe«, stellte er fest und nickte.
    »Nun ja. Den ganzen Vormittag mußte ich daran denken. Ich hatte aber nicht den Mut, jemanden zu fragen. Und wie das meist so ist, kommt immer noch etwas dazu, macht das Entsetzen noch größer … Mittags, als ich heimkam, meine Bücher ablegte und mich noch immer ganz elend fühlte vor Ekel und Aufregung, mir war schrecklich übel … Ich ging also ins Eßzimmer, da saß Vater auf dem Sofa und fluchte. Ich küßte ihm die Hand und wartete. Er war vom Reitplatz gekommen, saß da in der leichten Feldbluse, Breeches und Reitstiefeln. Er fluchte, weil der Bursche irgendwo unterwegs war. Vater befahl mir, ihm die Stiefel herunterzuziehen und die Hausschuhe zu bringen. Es wäre nichts dabei gewesen, aber ich konnte mich nicht erinnern, daß Vater das irgendwann vorher von uns verlangt hätte, auch nachher kam es nie mehr vor. Gerade an dem Tag, an dem … Verzweifelt sah ich auf Vaters staubige Stiefel, ich konnte die Arme nicht danach ausstrecken. Doch Vater lehnte sich auf dem Sofa zurück und las schon die Zeitung, achtete gar nicht auf mich, streckte mir nur sein Bein hin. Ich berührte den Stiefel mit meinen Händen, und dann wurde mir schwarz vor den Augen.
    »Du hast dich erbrochen«, erinnerte sich der Einarmige gleichgültig. Er saß ruhig in der Ecke, die Knie hochgezogen, das Gesicht in seine Hand gestützt, abwartend.
    »Ja, ich mußte mich erbrechen. Schlimm war, daß mich Papa, als ich zu mir kam, mit der Reitgerte geschlagen hat, weil er sich in seiner Empörung gar nicht vorstellen konnte, daß meine Übelkeit auch eine andere Ursache haben könnte als den Ekel vor seinen Füßen. Ich hatte bis dahin niemals Ekel empfunden, nicht einmal daran gedacht, daß mein Vater Füße hat …«»Deshalb bist du keusch geblieben«, konstatierte der Schauspieler.
    »Deshalb bin ich keusch geblieben«, wiederholte Tibor in singendem, gleichmäßigem Tonfall. Machte große Augen und ließ seinen Blick ruhig im Zimmer umherschweifen.
    »Es war nicht so schwer«, sagte Ábel heiser. »Ich finde nichts Erstaunliches daran, daß wir … wir noch nicht mit Frauen zusammenwaren. Glaubt ihr nicht, daß es einen Grund hat? Vielleicht sind wir deshalb eine Clique, weil … noch keiner von uns. Ich weißes nicht. Aber es wäre doch möglich.«
    Der Einarmige stellte die Füße auf den Boden und sprang vom Stuhl auf: »Ich«, sagte er hastig, »seit man mir das hier abgenommen hat … habe ich nicht mehr gewagt, mich vor einer Frau zu zeigen.«
    Der Schauspieler trat zu ihm hin und umfaßte seine Schulter, um ihn zu beruhigen. Der Einarmige stieß ihn weg, rißden leeren Ärmel aus der Tasche seiner Uniformbluse, hielt ihn mit zwei Fingern verächtlich hoch. Jetzt umringten ihn alle und sprachen auf ihn ein. Béla streichelte das leere Stück Ärmel. Lajos redete in Halbsätzen, seine blutleeren Lippen bebten, sein ganzer Körper wurde geschüttelt. Sie legten ihn aufs Bett des Schauspielers und setzten sich zu ihm. Langsam ließ das Zittern nach, und der Einarmige schloß die Augen. Sie saßen stumm um ihn herum. Tibor hielt die Hand des Bruders. Durch die geschlossenen Lider sickerte eine Träne, lief die Wange hinunter auf die Feldbluse. Der Einarmige biß sich auf die Lippe.
    Tibor stand leise auf, ging mit leichten, eleganten Schritten durchs Zimmer und gab Ábel ein Zeichen, zu ihm zu kommen. »Du weißt das nicht«, sagte er leise in der Fensternische, »daß Lajos noch nie geweint hat. Glaub mir. Ich hab ihn noch niemals weinen sehen.«
     
    ~
     
    Der Schauspieler wartete ab, bis sie alle fort waren. Dann schlenderte er langsam, ein duftendes Pfefferminzbonbon lutschend, aus seiner Wohnung hinunter. Das rachitische Mädchen spielte in der Toreinfahrt. Amadé kramte aus seiner Tasche ein Bonbon hervor und ermunterte das Kind, einige Pirouetten zu drehen. Er selbst machte auch zwei, drei Schritte auf den Fußspitzen, und so drehten sie sich einen Augenblick lang in der

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