Die jungen Rebellen
»Unschuldig!« sagte er und warf die Arme in die Luft. »Aber lügt ihr nicht?« wandte er sich besorgt wieder an sie. »Nein, nein, ihr lügt nicht«, beruhigte er sich selbst. »Aber das ist ja … Großartig, großartig, meine Freunde!« schrie er. »Wie alt wirst du? Oder bist du? Mein Sohn! Und du? Du wirst es erst? Ach, mein Lämmchen. Ihr kleinen Engel.« Er breitete die Arme aus und lachte schallend.
»Glaubt nur ja nicht«, sagte er besorgt, »daß ich darüber lachen muß. Es ist so schön, daß ihr die Sünde nicht kennt … ihr wißt ja gar nicht, was für eine große Sache das ist. Ihr habt alle Schutzengel. Hätte ich doch auch einen Schutzengel gehabt.« Und er ließ bedauernd die Arme sinken. »Leider hatte ich nie einen.«
Ábel erhob sich. »Ich schwöre«, rief er und hielt zwei Finger hoch. »Ich schwöre, daß ich noch nie mit einem Mädchen zusammenwar!«
»Nie«, sagte Béla. »Sprechen wir es nach.«
»Ich schwöre«, sagten sie alle. Tibor errötend, laut und mit fester Stimme. Ernő mit gesenktem Kopf, wie einer, der es nicht mehr wagen würde, seine Keuschheit nochmals der Versuchung eines Sündenfalls auszusetzen.
Sie belauerten sich gegenseitig wie Spürhunde. Wühlten in ihren so hochtrabend erzählten alten Lügengeschichten, hielten sie sich gegenseitig vor. Béla hatte ihnen vorgeflunkert, er habe ein Kind, das er jedes halbe Jahr besuche. Und über das öffentliche Freudenhaus hatten sie so kundig schwadroniert, als ob sie dort längst Stammgäste wären. Jetzt stellte sich heraus, daß außer Tibor, der bis zum Eingang gelangt war und dann doch zurückschreckte, keiner von ihnen gewagt hatte, das Haus mit der roten Laterne zu betreten.
»Ich ging damals in die zweite Klasse des Gymnasiums«, erzählte Tibor mit der ihm eigenen, etwas verträumten singenden Stimme, »als ich eines Morgens in der Stadt, in der wir damals wohnten, einen kleinen Umweg nahm und an dem Haus vorbeiging. Ich wußte genau, was es mit diesem Haus auf sich hatte, wer dort wohnt und warum die Männer hingehen. Wußte, daß die Mädchen dort leben, ich glaube, sogar den Tarif hatte ich von jemandem erfahren. Wenn ich an dem Haus vorüberging, dachte ich mir nichts weiter dabei, nichts Schreckliches und nichts Schönes. Die Tasche mit den Büchern trug ich auf dem Rücken. Als ich wieder einmal morgens um halb acht diesen Weg ging, kam ein junger Mann aus dem Haus. Er hatte eine Mütze auf, sein Hemdkragen war offen, er schlug die Tür zu, daß die Glocke leicht anschlug, blieb in der Tür stehen, trat mit einem Fuß auf die Stufe und begann, seine Schuhe zuzuschnüren. Er sah sich nicht um, keiner interessierte ihn, er schnürte sich in aller Ruhe die Schuhe, als ob er daheim auf seinem Bett säße. Daran war nichts Besonderes, ich wußte, woher der junge Mann kam, und ahnte auch, was er drinnen gemacht hatte. Er war bei den Mädchen. Was er mit den Mädchen anstellte, wußte ich noch nicht genau, doch ich vermutete, daß es das war, was die Erwachsenen vor uns verheimlichen und über das sie uns belügen. Von Vaters Burschen hatte ich fast alles erfahren. Was mich erschreckte, aber so sehr, daß ich stehenbleiben und mich mit den Büchern auf dem Rücken an eine Hauswand lehnen mußte, war nicht, daß der Bursche bei den Mädchen war, sondern daß er dort seine Schuhe ausgezogen hat. Bei einem Mädchen die Schuhe ausziehen … Was konnte er denn gemacht haben, was war das überhaupt für eine Sache, bei der man die Schuhe ausziehen mußte? Ich kann darüber nur schwer reden. Vielleicht traute ich mich deshalb bisher nicht … vielleicht war es mir aus diesem Grund nicht möglich, zu einem Mädchen zu gehen. Ich war schon einmal an der Schwelle des Hauses, legte die Hand auf die Türklinke, als mir der Bursche einfiel, der sich auf der Straße die Schuhe zugeschnürt hatte. Blödsinn, er hat mit einem Mädchen geschlafen, also mußte er sich die Schuhe ausziehen. Aber für mich … ihr könnt mich auslachen, für mich war das schrecklicher, als hätte jemand gesagt, er hat das Mädchen umgebracht, oder auch nur, er hat dort eine unfaßbare, unbeschreibliche Schweinerei getrieben.«
»Viel schrecklicher«, sagte Ernő ernst.
»Nicht wahr?« Tibor wandte sich mit weit aufgerissenen Augen Ernő zu und fuhr in gleichmäßigem Singsang fort: »Ich glaube auch, daß es viel schrecklicher ist. Der Junge schnürte gemächlich seine Schuhe, dann zog er sich die Mütze ins Gesicht und ging lustig pfeifend davon.
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