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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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heult der Sturm, und die Barke kämpft sich mit ihren Passagieren durch die Wellen auf den unbekannten Hafen zu. In der Kajüte hängt dichter Fuseldunst, Angst ergreift sie und das Gefühl, daß hier jeder auf jeden angewiesen ist. Bevor das Schiff nicht vor Anker geht, können sie ohnehin nicht voreinander fliehen. Tibor geht es jetzt besser, sein zartes Geschlecht verleugnend, frißt er mit einem Bärenhunger. Béla sitzt, den Kopf in die Hand gestützt, dem Schauspieler zu Füßen und sieht zu ihm auf. Schließlich beginnen sie, sich umeinander zu drehen, und den Takt für ihren Reigen gibt der Schauspieler an, der sich bitteres Leid von der Seele singt.
    Sie befinden sich zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer Bühne. Merkwürdig ist, daß sie sich hier so zu Hause fühlen, sie haben diese brettergezimmerte Dreidörfchenwelt ganz selbstverständlich in Besitz genommen, Ábel stellt sich an die Rampe und deklamiert leise vor einer unsichtbaren Menge. Der Schauspieler agiert ganz entrückt, entfernt sich mit jeder Geste weiter von dem Wesen, das sie kennen, schwelgt bereits in Erinnerungen an Le Havre, erzählt von Liebesnächten in den Häfen, fremd schweift sein Blick zwischen ihnen umher. Sein riesiger halbnackter Körper wabert bei jedem Schritt, er zieht jetzt den Bauch nicht mehr ein, überall quillt es aus seinem Trikot, und als er durch das Licht des Scheinwerfers geht, entdeckt Ábel Tätowierungen an seinem Arm und auf seiner Brust.
    Der Einarmige schreit: »Ein Tätowierter! Gebt acht auf ihn, ich warne euch!«
    Ernő lüftet seinen Zylinder, der Buckel lastet schwer auf ihm. »Meine Absichten sind ehrlich«, bemerkt er kühl. Der Einarmige stürzt sich auf ihn, Tibor wirft sich mit leisem Aufschrei dazwischen. Ábel hat das Gefühl, in einer Menge zu sein, unter Unbekannten und Fremden, und von Zeit zu Zeit beginnt er abzuzählen. Der Schauspieler tanzt in verstockter Einsamkeit irgendwo in der Ecke und läßt sein Schifferklavier keinen Augenblick los, er stampft mit den Absätzen hektisch einen erregenden, harten Rhythmus auf die Bretter.
    Sie setzen sich um den Tisch, und Ábel packt das Kartenspiel aus. »Mit Falschspielern setze ich mich nicht an einen Tisch«, stammelt der Einarmige betrunken.
    Doch die Karten locken auch den Schauspieler an. Er inspiziert jede einzelne Karte sorgfältig, prüft sie von allen Seiten, trinkt, streitet, flucht mit fremden, beleidigenden Ausdrücken, während er mit seinem Kleingeld klimpert. Sie klatschen die Karten auf die Tischplatte, lümmeln am Tisch, ziehen eine Lampe näher heran. Béla bietet erneut an, eine Leibesvisitation an ihm vorzunehmen. Danach ist es eine Weile still. Das Schiff muß in ruhigere Gewässer gelangt sein, der Wind hat sich gelegt.
    Während ein anderer mischt und die Karten austeilt, verläßt der Schauspieler die Kajüte und kehrt mit einer weiteren Flasche Branntwein zurück. Er meldet zufrieden: »Sternklare Nacht. Wind von Südost. Am Morgen können wir in Piräus sein.«
    Ábel hätte gern gewußt, seit wann sie schon hier sind. Aber auch erfahrene Matrosen verlieren auf dem Wasser das Zeitgefühl. Was soll’s, sagt er sich im seligen Dusel. Dies ist ein guter, sicherer Kahn zwischen Himmel und Meer, und irgendwo wird er bis zum Morgen schon vor Anker gehen. Er klettert in den Souffleurkasten hinab und beobachtet die Szene von unten. Béla legt dem Schauspieler einen Arm um den Hals. Und so steht er da: Spiel- und Standbein gekreuzt, eine Zigarette lässig auf der Lippe, bubenhaft schlank, den Oberkörper leicht vorgebeugt, ein weiches, verdorbenes Lächeln und den unbewußten Widerschein einer lüsternen Zufriedenheit auf dem gelblichen Gesicht.
    Tibor wirft die Zopfperücke ab, und Ábel stellt peinlich berührt fest, daß der Freund auch ohne Perücke feminin wirkt. Mädchenhaft und sanft sieht er aus mit dem Schönheitspflästerchen über der Lippe, den zartblassen Armen und den üppigen Brüsten. Er sitzt zwischen Ernő
    und dem Einarmigen, stützt sein Kinn mit zwei Fingern ab, hält die Karten wie eine Dame von Welt in der Hand. Ernő hat ihm einen Fächer aus Karton geschnitten, und nun beginnt Tibor, sich Kühlung zuzufächeln.
    Ábel hebt im Souffleurkasten den Kopf und stützt sich auf die Ellbogen. Zuschauen ist viel interessanter als mitmachen, denkt er. Ihm brummt der Schädel. Nur der Schauspieler ist weiterhin so natürlich, als habe er sein ganzes Leben auf diesem Schiff verbracht, im Trikot, mit der Pfeife im

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