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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Mund; mit keiner einzigen Geste, keinem Ton ist er aus der Rolle gefallen. Verwirrt suchend läßt er seine Augen umherwandern, und als er Ábel im Souffleurkasten gesichtet hat, beginnt er zu toben: »Du mogelst«, schreit er laut polternd. »Verfluchter Hurensohn. Setzt dich ans Ufer und schaust zu, wie uns die Wogen treiben. Angenehm, was? Sofort zurück, hierher, drückt ihn unter Wasser!«
    Sie stürzen herbei und zerren ihn an den Armen aus seinem Versteck. Ábel wehrt sich nicht. Liegt, die Arme vor sich ausgestreckt, auf dem Boden. Der Schauspieler umkreist ihn mit Verachtung wie einen Kadaver. Berührt ihn mit der Schuhspitze und wendet sich ab: »Es gibt ganz verdorbene Individuen«, sagt er angeekelt, »die schmutzigen Leidenschaften frönen. Und die allerverdorbensten sind solche, die sich damit begnügen, die Leidenschaften anderer zu belauern. Das war mir schon immer verhaßt, in Rio habe ich so einem Subjekt einen Zahn ausgeschlagen. Das sind die Lockvögel und Kuppler, die Gucklöcher in die Wände bohren. Denen müßt ihr aus dem Weg gehen. Solange der Mensch etwas tut, ist er unschuldig. Die Sünde beginnt in dem Augenblick, da du aus dem Kreis heraustrittst und anfängst von außen zu beobachten.«
    Er schreitet in der Kajüte im Kreis herum, stellt eine Flasche neben Ábel: »Trink«, sagt er, und als ob er endlich müde geworden wäre, setzt er sich zu Ábel hin. »Komm, meine Donna!« zieht er Tibors Kopf mit väterlicher Sanftmut auf seinen Schoß. Der Junge streckt sich folgsam neben ihm aus. Der Schauspieler stopft seine Pfeife und beginnt zu paffen, wie Goldgräber und Seebären es tun, wenn sie über ferne Länder schwadronieren. »An Bord eines Schiffes muß man teuflisch auf der Hut sein«, sagt er und nickt sich selbst zu, »denn es kann schnell zu einer Meuterei kommen. Nirgends sonst leben Menschen so geknechtet wie auf Schiffen. Ihr könnt’s mir glauben. Es gab Zeiten … Mit anderen Worten, auf einem Schiff bedarf es eiserner Disziplin. Stellt euch nur vor, Jahr um Jahr eingepfercht, wie Gefangene auf kleinstem Raum, immer mit denselben Leuten. Der Matrose verliert bald seinen Sinn für die Schönheiten der Natur, fühlt sich ständig beobachtet, ist nie für sich. Das ist das Schlimmste, was einem Menschen widerfahren kann. Die Meuterei auf einem Schiff bricht immer unerwartet aus, die Mannschaft tut über Jahre ihren Dienst ohne Murren, du hörst keine Klagen, wirst auch schon beim ersten Widerwort gepackt, und im nächsten Hafen fliegst du von Bord. Das Seegericht kennt da keinen Spaß. Doch eines Tages genügt eine Kleinigkeit, und schon fliegt einer über die Reling. Das geht so schnell, später kann man gar nicht mehr feststellen, warum es geschah, und es stellt sich ein ganz läppischer Anlaß heraus, ein Stück Seife, ein Schluck Schnaps, man begreift es nicht.«
    Béla steht an der Rampe und lacht: »Wir hatten ein Abonnement für diese Loge«, er deutet mit ausgestrecktem Arm in den dunklen Zuschauerraum. »Die dritte links; jeden Sonntagnachmittag mußten wir dort sitzen, brav gekämmt, und wir durften uns nicht über die Brüstung lehnen. Auch Bonbons gab es nicht, weil Vater meinte, >die Menschen lachen, wenn die Kinder des Kolonialwarenhändlers Bonbons schmatzen<.« Er schreit in den Zuschauerraum hinunter: »Vater hat nämlich Prinzipien. Ich habe keine.«
    Béla schwankt vor Lachen: »Wenn er mich hier sehen könnte … «
    »Die zweite rechts«, sagt Ábel, »das war unsere, dort rechts, die zweite. Und du erst, Tibor, wenn dein Vater dich sehen würde! Gib acht, dein Röckchen ist hochgerutscht.«
    Tibor setzt sich auf und streicht den Rock glatt. Ábel fügt sorgenvoll hinzu: »Hast du schon einmal Gedichte gelesen und dir dabei die Ohren mit Watte zugestopft? Oder auch Prosa, egal … Das ist etwas völlig anderes. Versuch es mal.« Der Schauspieler kramt ein taschenuhrgroßes Fläschchen hervor und besprengt sich Hände und Gesicht mit Parfüm. Das durchdringende Chypre umgibt auch Tibor mit einer betäubenden Duftwolke.
    »Der echte Seemann«, doziert der Schauspieler, »liebt Riechwässer. Truhe und Taschen sind voll mit Geschenken für Bräute und Freunde.«
    Er holt einen Taschenspiegel, Kamm, Seifenstücke aus den Hosentaschen, verteilt sie feierlich. Das restliche Chypre gießt er über Tibor aus.
     
    ~
     
    Was später geschah, darüber gibt es anderntags widersprüchliche Berichte. Ernő behauptet, daß alle, mit Ausnahme des Schauspielers, der doch

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