Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
In der Hand des Meisters führt der Instinkt den Pinsel, aber seine Ratgeber sind Beobachtung, Erfahrung und Fleiß. Ich sage ja, du hast einen Buckel.« Er legt Ernő beide Hände an die Schläfen, beugt seinen Kopf zurück und sieht ihm tief in die Augen. »Schreckensvisage. Jetzt pelle ich dir die Haut ab und stecke dich in die der gehäuteten Schlange.« Mit zwei Fingern zieht er ihm die Lider nach unten und zwinkert den andern im Spiegel zu.
     
    ~
     
    Als der Schauspieler sich in seine Garderobe zurückgezogen hat, mustern sie sich gegenseitig voller Argwohn, aber keiner tritt vor den Spiegel. Der Mensch gewöhnt sich erstaunlich schnell an sich selbst, in jeder Gestalt. Schade, daß die Kostüme nicht ganz ihre Maße haben, sie sind alle zu weit, Arme und Beine irren in diesen schlotternden Hüllen unentschlossen umher. Die Jungen wachsen innerhalb weniger Minuten in die Länge und Breite, werden groß und dick. Ernő steht, auf seinen Stock gestützt, vor dem Tisch, unter seinem weiten Radmantel zeichnet sich der spitze Buckel ab, die roten Haare unter dem Zylinder fallen ihm strähnig in die Stirn, der altmodische Frack und die seidene Kniehose schlackern schlampig an seinem schmächtigen Leib. Dicht neben seiner Nase blüht eine behaarte schwarze Warze. In den tiefliegenden kleinen Augen blitzen Verwirrung, Ärger und Trotz, sein Mund verzieht sich zu einer leidenden, bitteren Grimasse.
    Ábel sagt streng und leise: »Das Leben hat mich gelehrt, die Gerechtigkeit zu lieben. Vor allem die Gerechtigkeit.«»Knöpf dir die Hose zu«, antwortet Ernő. In der Eile haben sie sich alle etwas schlampig zurechtgemacht. Ábel zieht den roten Talar enger um sich. Béla, der halbnackte spanische Schiffsjunge mit dem Kopftuch und der eitel hingeleckten Haartolle an der Schläfe, sitzt, die Hände in die Hüften gestemmt, auf der Fensterbank. Der Einarmige verfängt sich in den Falten seiner Toga. Er sitzt auf dem Tisch und läßt die in Sandalen steckenden nackten Füße baumeln, seine Stirn ziert ein breites Band. Stolz und beleidigt blickt er mit dem Hochmut des Plebejers Mucius Scaevola um sich, der zwar dem Vaterland seinen Arm opfert, aber über all das auch seine eigene Meinung hat.
    »Rom«, sagt er, »mir können sie …«
    Rastlos gehen sie in dem engen Käfig herum. Grübeln über ihre unbekannten Rollen nach und sind bemüht, Tibor zu übersehen.
    Der Sohn des Obersten Prockauer beugt sich beglückt und mit dem Entzücken eines Narzißzum Spiegel hin. Die beiden blonden Zöpfe fallen ihm über die Schultern, das hochtaillierte Seidenkleid spannt sich um seinen Leib, er hebt die lange Schleppe des Rocks elegant mit einer Hand an und schlägt die durch Seidenstrümpfe und Lackschühchen noch schlanker wirkenden Beine übereinander. Der schöngeformte volle Busen, den der Schauspieler aus zwei Handtüchern modelliert hat, bebt bei jedem Atemzug unter dem tief ausgeschnittenen Kleid. Arme, Hals und Dekollete sind mehlweiß gepudert, die Wimpern unter Amadés Fingern auf wunderbare Weise gewachsen, die Pickel sind verschwunden unter der zarten Jungfernröte, die ihm der Schauspieler fein aufs Gesicht gehaucht hat.
    Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, ob er Frau oder Mädchen ist. Ernő geht schließlich vorsichtig und gebückt um ihn herum, lüftet den Zylinder und murmelt unverständliche Worte.
    Tibor antwortet mit einem Lächeln und wendet sich sogleich wieder dem Zauber des Spiegels zu. Er versucht ein paar Schritte, hebt den Rock ein gutes Stück an. Die Perücke ist heiß und stinkt. »Ich schwitze sehr«, sagt er mit feierlich veränderter Stimme.
    Ernő bietet ihm seinen Arm, doch der Einarmige fährt dazwischen: »Dies ist nur ein Arm, schöne Frau«, sagt er. »Aber er ist stark, man kann sich darauf verlassen.«
    Ábel öffnet das Fenster. Warme Luft und der schwere, milchige Erdgeruch der Nacht fließen von draußen herein. Sie stehen stumm, als ob das offene Fenster die Wirklichkeit heraufbeschwören würde, die Häuser, die rund um den Platz stehen, die Menschen, die hereingaffen könnten. Sie betrachten einander und können nicht lachen. Das Bewußtsein des unerbittlichen Verschworenseins durchströmt sie, die beunruhigende Freude der Zusammengehörigkeit, das Glück über die große Grimasse, die sie, vielleicht zum allerletzten Mal, der ahnungslos schlafenden Welt schneiden.
    Der Schauspieler hält noch für kurze Zeit, vielleicht ein letztes Mal, die unsichtbare Kette zusammen. In

Weitere Kostenlose Bücher