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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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unbarmherzig heulen. »Der hat in der Nähe eingeschlagen«, sagt der Schauspieler nach einem erneuten Donnerschlag und spuckt aus. »Halt an dich, Äolus. Einen Moment.«
    Eine seltsame Stille tritt ein. Lampen, Wände, Bänke, alles ist noch an seinem Platz, auf so unwahrscheinliche und unerwartete Weise, daß Ábel noch wankend und mit torkelndem Schritt, das Rollen des Schiffes ausgleichend, in die Kajüte eintritt. Mit ein paar Handgriffen nehmen sie die neue Welt in Besitz. Ernő hält theatralisch Tibors Hand fest und führt ihn feierlich schreitend zu Tisch. Der Einarmige sitzt auf dem Faß und verfolgt durchs Bullauge völlig entrückt den Sturm, die haushohen Wellen. Ábel tritt zu ihm hin, umfaßt seine Schulter und äußert betroffen: »Majestätischer Anblick. Da spürt der Mensch, wie bedeutungslos er ist.«
    In den Planken am Boden tut sich eine Falltür auf, und ein Tablett mit Flaschen steigt empor, darunter wird ein nackter Männerarm sichtbar und schließlich auch der Kopf des Schauspielers. Er klettert umständlich herauf und läßt die Falltür knallen; mit einer Hand balancierend, stemmt er das volle Tablett hoch, bewegt sich unter Verbeugungen mit sturmerprobter Technik, stolpert strauchelnd dem Tablett mit den Flaschen hinterher und setzt es unversehrt auf dem Tisch ab. »Das Wichtigste«, bringt er schnaufend hervor, »sind Ruhe und Alkohol. Manch einer verliert im Sturm den Kopf, ein anderer den Mageninhalt. Ein guter Schluck Brandy, meine Herren, Zwieback und Dörrfleisch, so können wir die kommenden Stunden ruhig auf uns zukommen lassen. Der Kapitän harrt an seinem Platz aus, und die Stimmung der Passagiere ist zuversichtlich.«
    Auf dem Tablett türmen sich mit Fleisch belegter Zwieback und Flaschen mit klarem Schnaps. Der Schauspieler lächelt selbstzufrieden. Er setzt sich, klopft die Pfeife an der Tischplatte aus, zieht den Gürtel um seinen Bauch enger und schiebt sich einen mächtigen Brocken Fleisch in den Mund. »Ein schöpferischer Akt«, mampft er, »macht hungrig.« Er streicht mit dem Handrücken über den Flaschenhals und nimmt einen kräftigen Schluck aus der Pulle. »Der hat’s in sich.« Er dreht sich zu Tibor: »Einen Schluck, mein schönes fremdes Fräulein?«
     
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    Als die erste Flasche geleert ist, gesteht das schöne fremde Fräulein, daß ihr speiübel ist. Der Schauspieler weiß ein Mittel gegen Seekrankheit, aber man muß es eine Stunde vor dem Sturm einnehmen. Sie haben die Dame auf eine Kiste gebettet, ihr Luft zugefächelt und sie unterhalten. In der Kajüte breitet sich langsam Zwielicht aus. Der Schiffsjunge verschwindet alle fünf Minuten aus der Kajüte, läßt die Winde der vier Himmelsrichtungen aufheulen und kehrt mit den neuesten Wettermeldungen zurück.
    Gefahr bringt die Menschen einander näher. Der Schauspieler wirft seine spartanischen Gewohnheiten über Bord, ißt und trinkt. So ist er der erste, der jetzt ein wenig schlapp macht. Nie haben sie ihn in angetrunkenem Zustand gesehen. Ernő, der vorsichtig und nur in kleinen Schlucken trinkt, behält ihn im Auge. Er traut der Trunkenheit des Schauspielers nicht ganz. Dieser zieht eine Kiste unter das Bullauge, setzt sich und imitiert mit beiden Armen einen Matrosen mit Schifferklavier. Dazu singt er mit näselndem Baß. »Die Neger haben das gesungen«, murmelt er, »bevor sie ins Wasser sprangen.« Die monotone Melancholie des Liedes verliert sich im Raum, der Schauspieler steht auf, das unsichtbare Instrument in Händen, geht unermüdlich auf und ab, macht eine sonderbare Verwandlung durch. Er spielt und singt, und bald stellen sie erstaunt fest, daß der betrunkene Matrose sich verflüchtigt hat, an seiner Statt hockt ein feister fremder Seemann am Rand des Tisches, leibhaftig, das Instrument in Händen, mit verändertem Gesicht und schielenden Augen, etwas behäbig, gutmütig, in schnapsseliger Jovialität singend, die ganze Traurigkeit der Häfen und Meere in seinen Liedern. Er tut nichts, hat sich nur verwandelt. Brabbelt in unverständlicher Sprache, in einem Kauderwelsch aus englischen, spanischen und unbekannten Brocken, zwischendurch schnauft er tief, schwärmt von fernen, fremden Ländern, und der Schmerz so mancher ziellosen Seefahrt bricht aus ihm hervor.
    Er kann spielen, der Schauspieler. Dem finsteren Zuschauerraum zugewandt, sitzt am Bühnenrand grölend ein betrunkener dicker Matrose. Sie stampfen auf der Bühne, summen im schummrigen Rhythmus des Schauspielers mit, draußen

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