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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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hantierte am Grammophon und legte eine neue Platte auf.
    Diese Musik war lauter. Der Einarmige stellte sein Wimmern ein. Der Schauspieler umarmte Tibor und riß ihn erneut mit sich in diesen sonderbaren, sich stetig steigernden, aber doch schleppenden und etwas zurückgenommenen Bewegungsrhythmus. Ábel hatte den Eindruck, als müsse das tanzende Paar im Drehen Widerstände überwinden und beim Kreisen den natürlichen Schwung der Bewegung zügeln. Der Schauspieler schob Tibor ab und an behutsam ein Stück von sich weg, als habe er eine empfindliche Last über einen Abgrund zu heben, kraftvoll und doch nicht ohne Anstrengung. Ihr Tanz wie die Musik verrieten die nicht aufzuhaltende Annäherung an ein schnell und unausweichlich auf sie zukommendes Geschehen; der Schauspieler tanzte mit Tibor in den Scheinwerferkegel, er verweilte darin und drehte sich nicht mehr aus dieser kleinen Lichtmanege heraus. Béla stellte sich zum Grammophon, kurbelte daran und richtete die Nadel. Die Platte wurde nicht gewechselt. Zwischen zwei Takten, noch ein wenig schwebend, hielt der Schauspieler inne, ließ Tibor los, riß sich das Trikot herunter und warf es von sich, zog die Perücke von seinem Kopf und schleuderte sie zum Schnürboden hoch.
    Halbnackt tanzte er weiter. Seine großen Brüste wippten bei jeder Drehung, der entblößte Rücken waberte speckig weiß im Scheinwerferlicht. Der Schauspieler versuchte jetzt eine neue Figur, trat kaum merklich näher an seinen Partner heran, er zog ihn nicht zu sich, doch sie tanzten nun Körper an Körper, jede Drehung brachte sie näher zusammen, als wäre ein Schleier um sie geschlungen, der sie im Kreisen enger aneinander band, mit einer Kraft, gegen die man wehrlos war. Und als ob das schnellere Kreisen den Rhythmus der Musik beschleunigt hätte, schien ihm die Platte mit immer hektischer knackenden Drehungen der Bewegung zu folgen.
    Der Einarmige rappelte sich hoch, schlich hinter Ábel und verfolgte die Tanzenden mit vorgerecktem Hals und gespannter Aufmerksamkeit. Ábel war seine Nähe unangenehm, und er trat einen Schritt zur Seite. Doch der Einarmige griff nach seiner Schulter, schüttelte ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Stell die Musik ab!«
    Noch bevor Ábel antworten konnte, geschah etwas, was sie unerwartet und blitzartig traf, einen Augenblick lang standen sie so benommen da, als wären sie Zeugen eines Naturereignisses geworden.
    Das Stück war zu Ende, die Nadel scheuerte und kratzte über die sich weiterdrehende Platte, keiner kümmerte sich darum. Der Schauspieler kreiste noch einmal mit seinem Partner, dann blieb auch er im Schwung erstarrt stehen, ein wenig zur Seite geneigt, wie ein Standbild, dessen Figuren der Künstler mitten in der Bewegung verewigt hat. So verharrten sie regungslos im Scheinwerferlicht, eine Skulpturengruppe, der bildgewordene Tanz. Ein Bein des Schauspielers schwebte noch über dem Boden, sein Oberkörper, zur Seite geneigt, hatte den Drehschwung des Tanzes mitgenommen. In das Standbild kam langsam Leben, der Schauspieler stellte seine Beine breit und fest auf die Bretter, die Arme bewegten sich und hoben Tibor, der den Kopf leicht nach hinten neigte, leicht in die Höhe. Der große Pferdekopf des Schauspielers fiel nach vorn. Sein Mund näherte sich Tibors Gesicht, langsam, als gäbe es noch einen unsichtbaren Widerstand zu überwinden, sich beinahe sträubend, aber doch unausweichlich senkte sich dieser Mund behutsam und umständlich über Tibors Lippen. Der Kopf des Jungen fiel unter dem Gewicht des über ihn gebeugten Kopfes nach hinten. Ihre Lippen lagen aufeinander und trennten sich nicht, der Schauspieler gab mit einer Hand dem zurückgekippten Kopf des Jungen, dessen Augen geschlossen waren, im Nacken Halt.
    Ábel und der Einarmige fielen gleichzeitig über ihn her. Béla, der einen bellenden Laut ausstieß, warf sich dem Schauspieler an die Beine und versuchte, den Koloß zu stürzen. Doch der mächtige Körper stand so unerschütterlich auf seinen zwei breit gespreizten Beinen, daß sie ihn eine Zeitlang nicht ins Wanken brachten. Ábel umfaßte mit beiden Händen Tibors Hals und riß ihn mit solcher Kraft zurück, daß sie beide hinschlugen. Sich wälzend rollten sie zum Tisch und blieben einen Augenblick reglos ineinander verschlungen liegen. Tibor wirkte leblos und schwerelos, als sei er dem Anziehungsfeld einer größeren Masse entronnen. Béla zerrte wie ein zorniger Köter, wild ächzend und bleffend, an den Beinen des

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