Die jungen Rebellen
das meiste getrunken hat, besoffen waren. Der Schauspieler habe nur den Betrunkenen gemimt. Der Einarmige behauptet felsenfest, der Schauspieler sei in dem kritischen Augenblick sturzbesoffen gewesen, denn er habe ihn kaum mit dem Finger angestoßen, und schon sei er umgekippt wie ein Sack.
Alle können sich erinnern, daß der Schauspieler gegen Morgen in eine wahre Redewut verfiel und sich ziemlich eigenartig benahm. Lief hin und her, fuchtelte mit den Armen und erzählte Lügengeschichten in einem fremdartigen Kauderwelsch. Was er zusammengelogen hat, weiß am nächsten Tag keiner mehr. Er warf mit Namen fremder Städte um sich, gestikulierte unsäglich arrogant in den Zuschauerraum hinunter, schrie Obszönitäten in die Dunkelheit. Zeitweilig haben sie alle gleichzeitig geredet. Der Einarmige weinte und torkelte. Ging zu jedem hin, betappte die Arme der anderen, deutete auf die Stelle, wo seiner fehlt. »Der gehört dir«, klagte er, »und wo ist meiner?« Er weinte, setzte sich auf den Boden und suchte um sich herum alles ab.
»Es ist ein Irrtum«, sagte er. »Sucht ihn, er muß da sein.«
Sie standen ratlos um ihn herum, flüsterten ihm besänftigende Worte ins Ohr. Er ließ sich nicht beruhigen, schrie und übergab sich. Sie wuschen ihm das Gesicht. Tibor setzte sich zu ihm und nahm den Kopf des Bruders in den Schoß. Der Einarmige bekam einen Schluckauf, und sein ganzer Körper wurde vom Weinen geschüttelt.
»Gebt ihm noch«, sagte der Schauspieler. »Er soll saufen. Weinen ist nur ein Übergang. Wo kämen wir denn da hin!«
Sie tranken gleich aus den Flaschen, der Schauspieler verschwand von Zeit zu Zeit und kam mit vollen Schnaps
buddeln zurück. Er muß ein ganzes Vorratslager in der Nähe gehabt haben. Ernő überschrie den Lärm: »Woher hattest du das Geld?«
In der plötzlichen Stille starrten sie sich benommen an. Tatsächlich, woher hatte er all das Geld? Der Schauspieler drehte doch sonst jeden Groschen um. Er grinste: »Ihr seid meine Freunde …«, sagte er. »Es tut nichts zur Sache. Ein Mäzen …«
Er torkelte mit einer Flasche vor den Souffleurkasten. »Meine Damen und Herren … Ein Mäzen … Ein Freund der Künste … Meinen kleinen Freunden …«
Wiehernd wankte er umher. »Musik!« rief er.
Hob aus einer Kiste ein tragbares Grammophon, kurbelte daran und legte mit unruhigen Bewegungen eine Platte auf. »Eine leise Nadel«, sagte er. »Leise. Tanzen wir.«
Er streckte sich, trat zu Tibor und machte eine Verbeugung. Der Einarmige rappelte sich hoch. »In der Kiste«, rief er. »Sucht ihn in der Kiste.« Die Musik war so leise, daß sie sie anfangs gar nicht richtig hörten. Der Schauspieler legte die Arme um Tibor und begann mit ihm zu tanzen.
Ábel ging beunruhigt hinter ihnen her. Der Schauspieler tanzte so sicher, als hätte er keinen Tropfen getrunken, tanzte, als sei dies für ihn die natürlichste Art, sich zu bewegen. Und als ob sich die Fülle seines Körpers in der Bewegung verflüchtigen würde, zog er Tibor, indem er ihn mit beiden Händen kaum merkbar anhob, mit in die Drehung. Die Musik klang so leise und schleppend, daß wohl lange nur die beiden Tanzenden sie gehört haben. Es war eine greinende, elegische Melodie, gedehnt gezogene und abrupt gebrochene Takte, zu der der Schauspieler fremdartige Tanzbewegungen erfand, und er trug Tibor bei den eigenwilligen Drehungen förmlich vor sich her. Er wirkte fast andächtig. Ábel bemerkte, daß beide beim Tanzen todernst waren. Angespannt, mit feindselig starrem Ausdruck, schauten sie sich in die Augen, keiner wandte auch nur einen Moment den Blick vom andern. Während die Körper kreisten, war ihr Blickkontakt derart intensiv, als wagte der eine den anderen nicht einen Lidschlag lang aus seinem Blickfeld zu entlassen. Sie hielten ihre Köpfe steif. Hals und Kopf machten die Windungen der Körper nicht mit. Woher konnte Tibor tanzen, fragte sich Ábel. Vielleicht fügte er sich dem Schauspieler nur wehrlos, der ihn im Schwung der Bewegung mit sich zog, und Tibor folgte ihm ohne Widerstand. Wohin tanzten sie? Sie bewegten sich langsam, mit ruhigen und gleichmäßigen Drehungen, bis die Platte abgelaufen war. Nun ließ der Schauspieler Tibor los, der Junge hob eine Hand an die Stirn und griff dann torkelnd in die Luft, als wollte er sich irgendwo festhalten. So stand er, mit erhobenen Armen, wartete, bis der Schauspieler zu ihm zurückkehrte, und Ábel kam es vor, als ob Tibor nicht ganz bei sich war. Der Schauspieler
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